Zeitgeist „zwingt Forscher auf den Laufsteg“

Elfenbeinturm war gestern: Heutzutage soll Forschung die Öffentlichkeit suchen und sich mit ihr austauschen. Ein Trend, den man auch kritisch sehen kann. So geschehen Mittwochabend bei einer Diskussion in Wien.

Der Zeitgeist „zwingt Forscher auch auf den Laufsteg“, so der Soziologe Alexander Bogner vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Akademie der Wissenschaften.

Immer mehr Bürgerbeteiligung

Dass es momentan derart viele Initiativen zur Wissenschaftskommunikation gibt und Forschung unter Einbeziehung von Laien („Citizen Science“) von der öffentlichen Hand unterstützt wird, habe mehrere Gründe: Da in Ländern wie Österreich und Deutschland der Anteil höher Gebildeter steigt, gebe es auch mehr Menschen, die auf ihrem Bildungsweg mit Forschung in Berührung kommen - ergo mehr potenzielle Interessenten an Wissenschaft.

„Das ist eine positive Entwicklung“, aber bei weitem nicht der einzige Treiber hinter dem Trend, erklärte der Wissenschaftsforscher Stefan Kuhlmann von der Universität Twente (Niederlande) bei der Diskussion.

Warnung vor Trivialisierung

Zu glauben, der Auslöser für das „junge Phänomen“ der zunehmenden Öffnung der Wissenschaft käme nur vonseiten der interessierten Öffentlichkeit greife natürlich zu kurz, so auch die Präsidentin der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW, Brigitte Mazohl.

Dahinter stehe auch der Staat, der Geld in die Wissenschaft investiert, und dann danach fragt, was damit passiert. Gerade in den Geisteswissenschaften sei der „Legitimationsdruck“ stark gestiegen, so die Historikerin, die in dem Zusammenhang vor einer „Trivialisierung der Wissenschaft“ warnte.

Veranstaltung des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW): „Vom Elfenbeinturm ins Kaffeehaus - wie viel Öffentlichkeit braucht die Wissenschaft?“.

Die Gründe für den „Partizipationsboom“ und die Tendenz, stärker mit der Bevölkerung zu kommunizieren, seien je nach Wissenschaftszweig unterschiedlich, sagte Martina Merz von der Universität Klagenfurt.

Während die Biotechnologie oder Nuklearphysik relativ offensiv versuchen müssten, sich zu erklären, weil sie von Teilen der Bevölkerung sehr skeptisch gesehen werden, gehe es in anderen Bereichen, wie den Geistes- und Sozialwissenschaften oft eben darum, die eigene Arbeit überhaupt zu rechtfertigen.

„Europa technikfreundlicher machen“

Einen größeren Legitimationsdruck verspüre mittlerweile allerdings nahezu jeder Berufsstand, führte Celine Loibl vom Wissenschaftsministerium ins Treffen. Auch das Ministerium müsse vehement auf die Wichtigkeit von Forschung und Entwicklung hinweisen, um die notwendigen Mittel zu bekommen, so die Leiterin des Programmes „Sparkling Science“, in dem Schüler zusammen mit Wissenschaftlern forschen.

Auf jeden Fall sei Partizipation ein gutes Mittel gegen die Technologie- und Wissenschaftsskepsis. Mit der Unterstützung von „Citizen Science“ und Co. werde seitens der Politik selbstverständlich auch das Ziel verfolgt, „Europa technikfreundlicher zu machen“.

Ist Aufruf zu Partizipation ein Krisenphänomen?

Begründet liege diese in Österreich vergleichsweise starke Ablehnung auch darin, dass die einfache Gleichung „mehr Wissenschaft führt zwangsläufig zu mehr Fortschritt“ beispielsweise mit der Katastrophe von Tschernobyl vor 30 Jahren endgültig „aufgebrochen wurde“, sagte Bogner. Man könne daher den steigenden Druck in Richtung Partizipation auch als Krisenphänomen deuten.

Zu optimistisch wäre es allerdings, sich von der Bürgerbeteiligung zu erwarten, dass sie der Wissenschaft automatisch den Weg aus dieser „Krise“ weist, erklärte Kuhlmann. So habe erst kürzlich die niederländische Regierung einen großen nationalen Aufruf gestartet, um neue Ideen für das Innovationssystem zu sammeln. Ob das zu tatsächlich zu neuer Forschung führt, sei noch nicht klar - dürfe aber bezweifelt werden.

science.ORF.at/APA

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