Wahlkampfphrasen im Test

Der Wahlkampf von Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer ist fast vorbei. Über die Sprache der beiden Kandidaten hat sich Paul Sailer-Wlasits Gedanken gemacht. Der Sprachphilosoph ortet ein neues Phänomen: einen „Verbalradikalismus des sanften Wortes“.

science.ORF.at: Sie haben soeben ein Buch veröffentlicht, in dem es u.a. um populistische und radikale Sprache in der Politik geht. Was ist Ihnen im aktuellen Wahlkampf um die Bundespräsidentschaft aufgefallen?

Paul Sailer-Wlasits: Was abgesehen von den inhaltlichen Positionierungen aufgefallen ist, war etwas, das ich „Verbalradikalismus des sanften Wortes“ nenne. Es werden beispielsweise Artikel der Bundesverfassung als triviale Wahlslogans verwendet, wie „Das Recht geht vom Volk aus“. Damit wird ein naiv-diffuser Begriff von Volk konstruiert. Mit solchen simplifizierenden Konstrukten suggeriert man Volksnähe. Man spricht also scheinbar exklusiv für ein nicht näher definiertes Volk, d. h. man beansprucht, exklusiv für das Interesse des metaphorischen „kleinen Mannes“ einzutreten.

Warum ist das „verbalradikal“? Norbert Hofer, den Sie meinen, plakatiert damit nur etwas, worauf aus seiner Sicht die anderen Parteien vergessen haben …

Porträtfoto des Sprachphilosophen Paul Sailer-Wlasits

Privat

Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler in Wien. Sein Buch “Minimale Moral. Streitschrift zu Politik, Gesellschaft und Sprache“ ist vor Kurzem im Verlag New Academic Press erschienen.

Mit dem „Verbalradikalismus des sanften Wortes“ wird nicht offensichtlich – etwa ausländerfeindlich – agitiert, sondern vermeintlich sprachlich einschließend formuliert. Dennoch bleibt der Satz irritierend, wie ein überraschender, falscher Kommunikationscode. Das, was sprachlich transportiert wird, ist eine Form von positiver Werteverschiebung von Begriffen. Das ist auf einer Linie mit den „Fleißigen und Tüchtigen“ eines Jörg Haider, auch mit diesen positiven Umkodierungen wurde damals in Wirklichkeit verbale Ausschließung praktiziert. Und auf solchen Phrasen basiert ja der populistische Mobilisierungserfolg in den riesigen, tendenziell apolitischen Bevölkerungsteilen.

Positive Umkodierungen sind in diesem Wahlkampf anscheinend en vogue: Alexander Van der Bellen appelliert an das Heimatgefühl, das man bisher eher mit den politischen Gegnern in Verbindung gebracht hat. Ist das nicht genauso populistisch?

Selbstverständlich ist das ebenfalls populistisch, nur vermutlich strategisch nicht gleichermaßen erfolgreich, weil es als Nachahmung wahrgenommen wird. Es ist daher weniger glaubwürdig und weckt „Me-too-Assoziationen“. „Heimat“ ist als Begriff ebenso vage und diffus wie „Volk“. Mit solchen simplifizierenden Begriffen sollen aber jene gesellschaftlichen Räume besetzt werden, in denen sich eine potenzielle Mehrheit eingerichtet hat. Diese erreicht man nicht mir der differenzierten Darstellung komplexer gesellschaftlicher Konfliktlinien, sondern durch das Gegenteil, durch die Reduktion von Komplexität.

Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer bei einem TV-Einstieg in der Hofburg im Rahmen der Bundespräsidentenwahl am Sonntag, 24. April 2016

APA - Harald Schneider

Was spricht in einer immer unübersichtlicheren Welt eigentlich gegen die Reduktion von Komplexität?

Nichts, wenn sie erklärenden Charakter hat. Meistens ist die Reduktion von Komplexität aber die sprachliche Vorstufe zur Generalisierung und Pauschalisierung und damit die Wegbereiterin von Klischeebildung und Stereotypisierung. Der verbale Weg von der Komplexitätsreduktion zur Vorurteilsbildung ist zwar ein mehrstufiger, aber leider sehr direkter. Das konnte und kann man seit Monaten wie in einem „Lehrstück des Populismus“ anhand der europaweiten Flüchtlingsdebatte beobachten.

Wie meinen Sie das?

Anstatt in der europäischen Flüchtlingsdebatte differenziert und behutsam zu argumentieren, wurde von populistischer Seite simplifiziert und verkürzt. D. h., es wurden diffuse Angstbilder erzeugt und mittels Feindbildrhetorik weiter verstärkt. Sprachlich transportiert wurde das vielfach mittels Metaphern, die wir aus dem Bereich der Naturkatastrophen kennen: etwa Flüchtlingsflut, Flüchtlingswellen usw., um Bedrohungsszenarien wachzurufen.

Einer der Effekte war letztlich eine massive Verunsicherung weiter Bevölkerungsteile, und zwar nicht nur der sozial benachteiligten Gruppen, sondern auch jene der mittlerweile wirtschaftlich geschwächten bürgerlichen Mitte. Damit hat der Populismus auch substanziell zum Solidaritätsverlust, zu einem Brüchigwerden der Solidarität in Europa beigetragen.

Populär zu sein muss in der Demokratie, wo es um die Suche und Berufung auf Mehrheiten geht, ein Ziel sein. Wo liegen die (sprachlichen) Grenzen zwischen populär und populistisch?

Der Einsatz und die Intensität der politischen Rhetorik stecken den Grenzbereich sprachlich ab. Wenn anstelle des inhaltlichen oder ideologischen Arguments nur noch das Image und das Prestigepotenzial eines Arguments im Vordergrund stehen, ist die Grenze von populär zu populistisch überschritten. Beispielsweise erzielte die sog. „Willkommenskultur“ zu Beginn der Flüchtlingskrise sowohl in Deutschland als auch in Österreich hohe Popularitätswerte aufgrund eine Vielzahl verschiedenster inhaltlicher und z. T. ideologischer Argumente.

Die populistische Antwort darauf waren beispielsweise die xenophoben Verbalradikalismen und die Hasssprache vonseiten einer Pegida, welche primär mit rhetorischen Überhöhungen und Aneinanderreihungen deklarativer Phrasen operierte. Der rhetorische Effekt dominierte also die inhaltliche Debatte zum Preis herabgesetzter Differenziertheit.

Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer bei einem TV-Einstieg in der Hofburg im Rahmen der Bundespräsidentenwahl am Sonntag, 24. April 2016

ORF - Harald Schneider

Warum ist „Willkommenskultur“ populär, aber z.B. „Flüchtlingsflut“ populistisch?

Zwischen „Willkommenskultur“ und „Flüchtlingswelle“ scheint nur auf den ersten Blick kein qualitativer Unterschied zu bestehen. Die metaphorische Bedeutungserweiterung jedoch, d. h. die „Entfaltung“ der Metapher, wie Paul Ricoeur das einmal nannte, macht den Unterschied aus.

Der Bezeichnung „Willkommenskultur“ sind zahlreiche integrative Aspekte beigegeben. Konkret heißt das: Aspekte der Anerkennung, von affektiver, kognitiver bis hin zu sozialer Anerkennung und bis zu rechtlicher Zuerkennung eines bestimmten Status, etwa dem eines Asyl- oder Schutzsuchenden. Respekt und kulturelle Wertschätzung haben jeweils inklusive Funktion.

Mit „Flüchtlingswelle“ oder „Flüchtlingsflut“ wird hingegen verbal Ausschließung praktiziert, weil Flut und Welle Aspekte des Bedrohlichen, des Gefährdenden mitgegeben sind. Bedeutungen, die die „Welt des Anderen“ draußen lassen und in jenen Bereich verschieben, in welchem man sich schützen muss, vor dem, was über einen hereinzubrechen droht. Aus diesen genannten Gründen ist es auch nicht gleichgültig, ob eine mediale Schlagzeile etwa „zehntausende Flüchtlinge“ oder „Riesige Flüchtlingswelle“ lautet.

Gleichgültig, wer nun zum Bundespräsidenten gewählt wird, und sich die Politik im Allgemeinem weiter entwickelt. Welche Sprache würden Sie sich von Politikern wünschen?

Ludwig Wittgenstein hat einmal gemeint: „Man muss manchmal einen Ausdruck aus der Sprache herausziehen, ihn zum Reinigen geben, und kann ihn dann wieder in den Verkehr einführen.“ Es besteht wenig Anlass zu meinen, dass sich die ökonomischen Gesetze des sprachlichen Austausches in der Politik in absehbarer Zeit ändern werden.

Wünschenswert wäre ein engagierter, energiegeladener politischer Sprachduktus, der gleichzeitig differenziert ist und nicht zu Rhetorik und Metaphorik Zuflucht nimmt, sondern deeskaliert und auf Aspekte der Hoffnung setzt. Denn Hoffnung ist kein bloßes Erwarten, sondern die sprachliche Hereinnahme einer möglichen, günstigen Zukunft in die Gegenwart.

E-Mail-Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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