Futtern für den Machterhalt

Größe und Körpermasse bestimmen den sozialen Rang in der Gruppe. Das gilt für praktisch alle Tierarten, die in Rudeln und ähnlichen Verbänden leben - und ganz besonders für Erdmännchen: Ist ihr Rang in Gefahr, futtern sie sich in die nächsthöhere Gewichtsklasse.

Sie sind in der Trockensavanne der Kalahari im südlichen Afrika zu Hause. Erdmännchen leben in Gruppen von fünf bis 50 Tieren und bewohnen Erdbauten, deren Zugänge stets ein paar Tiere sichern, wie „Wachmännchen“ auf den Hinterbeinen stehend.

Der britische Verhaltensbiologe Tim Clutton-Brock von der Universität Cambridge erforscht die Erdmännchen in der Kalahari seit Jahren, weil sie uns, so sagt er, „entscheidende Einsichten liefern in die Entstehung von Gemeinschaften und ihre Regeln.“

Die Regeln in einem Erdmännchen-Clan sind außergewöhnlich: Angeführt werden sie von einem dominanten Weibchen, das auch das Monopol zur Vermehrung hat, zusammen mit einem dominanten Männchen. Diesem Elternpaar ordnen sich alle andern unter, betreuen und unterrichten deren Junge, beschaffen Nahrung, bewachen und verteidigen den Bau - alles für das Gemeinwohl und ohne sich selbst zu vermehren.

„Im harten Überlebenskampf der Wüste hat sich das archaische Gemeinwohl-Modell besonders bewährt, das am ehesten mit einem Ameisen- oder Bienenstaat vergleichbar ist“, erklärt Clutton-Brock.

Warteschlange für Vermehrung

Erst wenn eines der Elterntiere zu alt wird oder stirbt, kann das nächste, jeweils schwerste und größte Tier nachrücken. Es gibt also eine Art Warteschlange für die Chance auf Vermehrung, nach Größe und Gewicht gereiht. Clutton-Brock hat zusammen mit der Evolutionsbiologin Elise Huchard nun in einem Experiment herausgefunden, dass diese Hierarchie nicht nur zufällig und durch äußere Einflüsse entsteht. Offenbar verteidigen Erdmännchen ihre Position in der Warteschlange, indem sie ihr Wachstum steuern.

Schon früher hatte Clutton-Brock beobachtet, dass Weibchen, die in die Alpha-Position vorrücken, in den ersten zwei bis drei Monaten Gewicht zulegen und sogar der Länge nach wachsen. Und sie legen umso mehr zu, je geringer der Abstand zum nächstschweren Rivalin ist - die neue Clan-Chefin futtert sich gewissermaßen auf Respektabstand.

Rivalen dauernd im Blick

Nun haben die Wissenschaftler untersucht, ob dieser Mechanismus auch die Hierarchie der untergeordneten Tiere bestimmt. Dazu nahmen die Forscher paarweise Tiere gleichen Geschlechts aus einem Wurf und fütterten das jeweils schwächere Tier zusätzlich zweimal täglich.

Resultat: Die nicht gefütterten Erdmännchen reagierten auf das plötzliche Wachstum ihrer Geschwister, steigerten ihre durchschnittliche Nahrungsaufnahme und legten ebenfalls an Gewicht und Größe zu. Das heißt, sie können aktiv reagieren, wenn ihr Vorsprung zum schwächeren Rivalen geringer wird.

Und sie können offenbar die Entwicklung der unmittelbaren Rivalen verfolgen und einschätzen. „Erdmännchen sind extrem sozial, haben ständig Nähe und Kontakt in der Gruppe. Sie sind verspielt, jagen einander und raufen herum. Erdmännchen können also permanent Stärke, Gewicht und Größe aneinander messen“, sagt Clutton-Brock. Er vermutet, dass bei diesem Vorgang auch der Geruch eine Rolle spielen könnte.

Es ist jedenfalls das erste Mal, dass Wissenschaftler an sozialen Tieren nachweisen, dass diese ihr Gewicht und Wachstum beeinflussen, abhängig vom Wettbewerb mit Rivalen. Und das sehr dosiert, immerhin kostet das viel Nahrung und Energie.

Die Studienautoren gehen davon aus, dass ähnliche Anpassungsreaktionen auf Rivalität und Wettbewerb auch bei anderen Tierarten zu finden sein könnten. Möglicherweise auch bei domestizierten Tieren, Primaten - und vielleicht sogar beim Menschen. Doch das muss erst erforscht werden.

Thomas Azade, science.ORF.at

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