Anemone und Mensch: Ähnlicher als gedacht

Wo bei Menschen der Kopf und wo das Hinterteil ist, entscheiden „Organisator“-Zellen durch Signalstoffe. Dasselbe System gibt es auch bei Seeanemonen. Die gemeinsamen Wurzeln müssen weit in der Vergangenheit liegen, schreiben Forscher.

„Am Beginn der Entwicklung stülpt sich ein Teil des Embryos quasi nach innen“, erklärte Ulrich Technau vom Department für Molekulare Evolution und Entwicklung der Universität Wien der APA. Bei diesem Vorgang, der mit Fachbegriff Gastrulation heißt, entsteht beim Urmund ein Knickpunkt, den man Blastoporus-Lippe nennt. Genau dort sitzt der große Organisator der Körperachsen.

Künstlicher siamesischer Zwilling

Bereits in den 1920er-Jahren hat der deutsche Biologe Hans Spemann diesen Organisator bei Molchen auf die andere Seite eines Embryos transplantiert, worauf sich eine zweite vorne-hinten Körperachse und damit ein siamesischer Zwilling bildete. Dafür bekam er 1935 den Medizin-Nobelpreis.

Die Studie:

Pre-bilaterian origin of the blastoporal axial organizer, „Nature Communications“, Mai 2016.

Mittlerweile haben die Entwicklungsbiologen herausgefunden, dass dies mittels „Wnt-Botenstoffen“ funktioniert. Sie können eine zweite Haupt-Körperachse hervorrufen, wenn sie in einen Embryo injiziert werden. „Bisher hat man geglaubt, dass dieser Organisator eine neue Erfindung der Wirbeltiere ist, weil er beispielsweise bei Insekten und Würmern nicht ohne weiteres zu finden war“, sagte Technau. Mit Kollegen hat er in Seeanemonen (Nematostella vectensis) dieselbe Art von Transplantationen durchgeführt und auch dort entstand eine zweite Haupt-Körperachse.

Vor 600 Millionen Jahren

Die Forscher konnten zeigen, dass dieselben Botenstoffe (Wnt1 und Wnt3) dafür gebraucht werden. „Das System ist also offensichtlich schon uralt und in gemeinsamen Vorfahren von Wirbeltieren und den Seeanemonen entstanden“, so der Biologe. Diese lebten vor mindestens 600 Millionen Jahren.

Im Vorjahr hat Technau mit seinem Team bereits zeigen können, dass die an sich kreisrunden Seeanemonen auch jenes System besitzen, mit dem Wirbeltiere ihre zweite Körperachse (Bauch-Rücken) bilden.

Mit einem weiteren Signalstoff namens „BMP“ arrangieren sie freilich weder Rücken noch Bauch noch das Zentrale Nervensystem wie die Wirbeltiere. Statt dessen wird die Position von inneren Einfaltungen (Septen) festgelegt, in denen sich die Längsmuskeln und Geschlechtsdrüsen der Seeanemonen bilden. „Dieser Signalweg ist von jenem der Hauptachse abhängig, er wird nämlich von den Wnt-Botenstoffen erst angeschaltet“, berichtet Technau.

science.ORF.at/APA

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