Warum Senioren das Risiko scheuen

Dass ältere Menschen zur Vorsicht neigen, hat laut britischen Forschern chemische Ursachen: Im Laufe der Jahre gehen dem Gehirn die Botenstoffe aus.

Ungestüm, sorglos und wild ist die Jugend, im Alter indes regiert die Besonnenheit. So zumindest besagt es das Klischee - ist da etwas dran? „Das ist gar nicht so leicht nachzuweisen“, sagt Robb Rutledge vom University College London. Denn: „Viele psychologische Untersuchungen haben zu wenige Teilnehmer. Es heißt zwar, dass ältere Menschen das Risiko meiden, doch die Belege dafür sind relativ dünn.“

Spielen für die Wissenschaft

Einen Mangel an Studienteilnehmern hatte Rutledge in seiner letzten Studie jedenfalls nicht zu beklagen. 25.000 Probanden nahmen daran teil - via App, die der britische Psychologe mitentwickelt hat. Die App ist Teil des „Great Brain Experiment“, ein neurologisches Forschungsprojekt, das seine Daten über Handy-Spiele einsammelt.

Im konkreten Fall ging es um das Risikoverhalten, die Spielsituation war folgende: Die Teilnehmer starteten mit 500 Punkten, in Folge galt es, das Punktekonto weiter auszubauen. Das war entweder auf konservativem Weg möglich, hier gab es wenige Punkte, die aber sicher. Oder aber auf die riskante Tour: Hier gab es deutlich mehr Punkte zu gewinnen, dafür betrug die Wahrscheinlichkeit, leer auszugehen, 50 Prozent.

Wie Rutledge und seine Kollegen im Fachblatt „Current Biology“ schreiben, war die Sicherheitsvariante bei den älteren Probanden klar beliebter. Keinen Zusammenhang zwischen Alter und Risikoverhalten konnten die Forscher hingegen nachweisen, wenn es darum ging, große Punkteverluste zu vermeiden. „Ältere Menschen scheuen also nur eine bestimmte Art von Risiko“, sagt Rutledge. „Sie fühlen sich offenbar weniger von großen Gewinnen angezogen - sofern sie mit Risiken verbunden sind.“

Dopaminmangel im Alter

Warum das so ist, glauben die Wissenschaftler auch zu wissen. Schuld ist vermutlich der Botenstoff Dopamin, Teil des Belohnungssystems im Gehirn, beziehungsweise dessen Absenz: Denn Studien zufolge fällt der Dopaminlevel im Hirn mit dem Alter kontinuierlich ab, der Verlust kann im Erwachsenenalter pro Jahrzehnt bis zu 10 Prozent betragen. Soweit wäre das alles bloß eine Korrelation, allerdings hat Rutledge bereits letztes Jahr im Experiment nachgewiesen: Wird der Dopamingehalt im Gehirn künstlich erhöht, nimmt im Gegenzug auch die Risikobereitschaft zu.

Diese Erkenntnis hat auch politische Implikationen, sagt Rutledge. „Politiker wissen, dass sie mit negativen Botschaften eher Ältere ansprechen, während Jüngere eher für optimistische Slogans empfänglich sind.“ Die Studie liefert nun eine neurologische Erklärung dafür. Wird im Hirn das Dopamin knapp, hat die Vermeidung des Schlechten mehr Gewicht als die Hoffnung auf das Gute.

Robert Czepel, science.ORF.at

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