Wittgenstein-Preis für Peter Jonas

Der deutsche Neurowissenschaftler Peter Jonas vom Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg erhält den Wittgenstein-Preis 2016. Das gab der Wissenschaftsfonds FWF am Montag in Wien bekannt.

Mit dem Wittgenstein-Preis werden hervorragende und international anerkannte Wissenschaftler ausgezeichnet. Die vom Wissenschaftsministerium finanzierte Förderung soll ihnen „ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität bei der Durchführung ihrer Forschungstätigkeit garantieren.“

Die als „Austro-Nobelpreis“ geltende Auszeichnung ist mit 1,5 Mio. Euro dotiert und damit der höchste Wissenschaftsförderpreis in Österreich. Zudem erhielten sechs Nachwuchsforscher Start-Preise, die mit jeweils bis zu 1,2 Mio. Euro dotiert sind.

Den sieben ausgezeichneten Wissenschaftlern steht die jeweilige Fördersumme in den kommenden sechs Jahren für ihre Arbeit zur Verfügung. Ausgewählt wurden die Preisträger von einer aus ausländischen Wissenschaftlern zusammengesetzten Jury.

Kommunikation der Neuronen

Im Mittelpunkt von Jonas Interesse steht die Hirnforschung, speziell die Kommunikation von Hirnzellen. Das stellt, wie Jonas auf der Homepage seiner Arbeitsgruppe schreibt, „eine der größten Herausforderungen der Biowissenschaften im 21. Jahrhundert dar“.

Denn jede einzelne der rund zehn Milliarden Nervenzellen (Neuronen) im menschlichen Gehirn bildet eine Vielzahl von Verknüpfungen. Dadurch stehen die Neuronen an „gigantisch vielen“, nämlich rund einer Billiarde Kontaktstellen miteinander in Verbindung.

Und diese Kontakt- und Kommunikationsstellen zwischen den Neuronen, die sogenannten Synapsen, sind der Forschungsschwerpunkt von Jonas. Er hat entscheidend dazu beigetragen, das Zusammenspiel der verschiedenen an der Kommunikation beteiligten Membrankanäle und Transmitterstoffe zu erklären und im zeitlichen Ablauf darzustellen.

Beruflicher „Ausreißer“

Der am 10. Mai 1961 in Darmstadt geborenen Wissenschaftler stammt aus einer Architektenfamilie und bezeichnet seinen beruflichen Weg daher gegenüber der APA als „Ausreißer“. Seine ingenieurswissenschaftliche familiäre Prägung möge zwar auf den ersten Blick wenig mit der Arbeit als Neurowissenschaftler zu tun haben, entpuppe sich allerdings immer wieder als „durchaus nützlicher Hintergrund“.

Jonas’ Arbeit ist nämlich durchaus technologiegetrieben. Sie knüpft an die Forschung des deutschen Medizin-Nobelpreisträgers Erwin Neher an, der 1991 gemeinsam mit Bert Sakmann für die Entdeckungen zur Funktion von einzelnen Ionenkanälen in Zellen ausgezeichnet wurde.

Die beiden Wissenschaftler waren federführend an der Entwicklung der sogenannten Patch-Clamp-Technik beteiligt. Damit lassen sich Spannungsänderungen in verschiedenen Teilen von Zellen messen. Jonas konnte diese Methode weiterentwickeln, wofür es eben auch großer technischer Fertigkeiten bedurfte. „Wir sprachen früher immer vom ‚Basteln‘“, wie es der Forscher ausdrückte.

Hippocampus im Fokus

Jonas untersucht u.a. sehr detailliert die Abläufe im Hippocampus, also jenem Teil des Gehirns, der entscheidend für Gedächtnis, Lernen, Erinnerung und Raumorientierung zuständig ist. Seine Ergebnisse erscheinen nahezu regelmäßig in den Top-Fachjournalen. Zudem ist er am Human Brain Project (HBP), einem EU-Flaggschiff-Projekt, beteiligt, in dem europäische Wissenschafter versuchen, möglichst detaillierte Modelle neuronaler Aktivitäten zu entwickeln und damit das menschliche Gehirn zu simulieren.

Als Mediziner treibe ihn die Motivation an, nicht nur mehr über die physiologische Funktion von Nervenzellen zu erfahren, „sondern auch herauszufinden, wie Erkrankungen daraus erklärt werden können“. Auch wenn seine Arbeit sehr grundlagenorientiert anmute, habe er „die Langzeitperspektive einer therapeutischen Anwendung immer im Hinterkopf“, sagte der Forscher.

Jonas ist einer von wenigen Forschern, die bereits zwei Mal einen mit jeweils um die 2,5 Mio. Euro dotierten „Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten haben. Darüber hinaus wurde er unter anderem 2006 mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgezeichnet und ist Mitglied der deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und der Academia Europaea.

Zweiter Preis für IST

Sein Studium der Humanmedizin an der Universität Gießen schloss Jonas 1990 ab. Während seiner Zeit am Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg habilitierte er sich 1992 an der dortigen Universität.

Über Stationen an der Technische Universität München und der Universität Freiburg, wo er das physiologische Institut leitete, kam Jonas schließlich 2010 an das IST Austria. Für das erst 2009 gegründete Institut ist es der zweite Wittgenstein-Preis: 2012 teilte sich der Informatiker und IST Austria-Präsident Thomas Henzinger die Auszeichnung mit dem Solarzellen-Pionier Serdar Sariciftci von der Universität Linz.

Die Verleihung des Wittgenstein-Preises und der Start-Preise nehmen am Montagabend Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner, Staatssekretär Harald Mahrer (beide ÖVP) und FWF-Interimspräsidentin Christine Mannhalter vor. ORF III zeichnet die Zeremonie auf, die Ausstrahlung erfolgt am Mittwoch.

science.ORF.at/APA

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