Forscher wollen künstliches Humangenom herstellen

Im Jahr 2003 haben Wissenschaftler das menschliche Erbgut entziffert - nun starten sie das nächste Großprojekt. Das Ziel: ein komplett synthetisches Humangenom.

Drei Milliarden Basenpaare hat das menschliche Erbgut. Die Sequenz ist lange bekannt, doch der offizielle Abschluss des Humangenom-Projekts (HGP) vor 13 Jahren bedeutete natürlich nicht, dass damit alle Arbeit beendet worden wäre.

Denn was diese Daten bedeuten - wie die genetische Information in Lebensfunktionen der Zelle übersetzt wird - das ist bis heute nicht vollständig klar. Daher laufen derzeit einige Nachfolgeprojekte, etwa die Initiative ENCODE, um die Funktionen der sequenzierten Gene aufzuklären.

DNA aus der Maschine

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Über dieses Thema berichtet heute auch „Wissen aktuell“, 17.6.2016, 13.55 Uhr.

Das kann man im Prinzip auf zwei Arten machen: Entweder geht man vom kompletten Erbgut aus - und versucht durch Gen-Knockout und künstliche Mutationen mehr über das Wechselspiel der Gene herauszufinden. Oder man beginnt gewissermaßen am anderen Ende und baut Schritt für Schritt ein künstliches Genom zusammen. Genau das wollen nun Wissenschaftler tun. „HGP-write“ heißt dieses Großprojekt, das ein Team um die beiden amerikanischen Molekularbiologen Jef Boeke und George Church im Fachblatt „Science“ vorgestellt hat.

Die Initiative ist auf zehn Jahre angelegt und soll vor allem bessere und billigere Methoden entwickeln, die es braucht, um so ein großes Erbgut wie jenes des Menschen synthetisch herstellen zu können. Bislang haben Forscher diesen Ansatz erst bei primitiven Organismen mit einem Mini-Erbgut erfolgreich umgesetzt. Etwa bei einem Bakterium der Gattung Mycoplasma. Ein Team um den amerikanischen Biotech-Entrepreneur Craig Venter stellte vor sechs Jahren eine Genomsequenz am Computer her, synthetisierte sie im Reagenzglas und transplantierte diese dann in die Zelle eines Bakteriums, dessen DNA zuvor entfernt worden war.

Craig Venter

ASSOCIATED PRESS

Craig Venter, Pionier der Genomforschung

Das Resultat: ein lebensfähiger Organismus mit komplett künstlicher Genarchitektur. Mycoplasma laboratorium, so der Name des Bakteriums, repräsentiert im mehr als drei Milliarden Jahre alten Stammbaum des Lebens den ersten synthetischen Spross. Wo früher die natürliche Selektion obwaltete und für die Eigenart von Lebewesen sorgte, könnte nun der Mensch in die Rolle des evolutionären Gestalters schlüpfen.

Ethische Bedenken

Natürlich lässt dieser Gedanke auch Ambivalenzen aufkommen, wenn davon das menschliche Erbgut betroffen ist - nicht bloß Bakterien. Dementsprechend gemischt fallen die Reaktionen auf die neue Initiative aus. Während die an HGP-write beteiligten Wissenschaftler ihr Vorhaben mit Enthusiasmus bewerben, halten manche - etwa der Martin Fussenegger von der ETH Zürich - ein derartiges Großprojekt für schlicht nicht notwendig.

Andere votieren dafür, das Projekt auf Eis zu legen und zunächst einmal die ethischen Grundlagen zu diskutieren. Die Bioethikerin Laurie Zoloth von der Northwestern University in Chicago sagt: „Die Werkzeuge zu entwickeln, um lange Gensequenzen künstlich herstellen zu können - das halte ich für ein wichtiges Ziel. Aber ein komplett neues menschliches Erbgut? Das ist ein völlig anderes Projekt. Es gibt keinen hinreichenden Grund für einen so großen moralischen Schritt.“

Zoloth hat nun mit dem Biologen Drew Endy einen Text verfasst, in dem die beiden ihre Bedenken an dem Vorhaben darlegen. Sukkus: Das Basteln am Genom könnte eine Büchse der Pandora öffnen. Es brauche eine öffentliche Debatte über die möglichen Konsequenzen, ein Projekt dieser Art dürfe man nicht hinter verschlossenen Türen planen.

Zwei technische Hürden

Freilich wird es bei dem Projekt - trotz aller Bedenken - nicht darum gehen, einen synthetischen Homunculus zu schaffen. Das Ziel lautet „learning by building“ - also Einsicht in die genetische Maschinerie durch freie Kombination ihrer Bausteine. Davon könnte auch die Krebsforschung profitieren. Im Vorfeld von klinischen Tests verwenden Forscher nämlich menschliche Zellkulturen, um mehr über neue Wirkstoffe oder die Entstehung von Tumoren herauszufinden. Allerdings haben solche Zelllinien - ebenso wie jeder Mensch - ihre individuelle Genetik.

Wie der deutsche Chromosomenforscher Torsten Waldminghaus betont, könnte man im Zuge von HGP-write auch Zelllinien mit einem Durchschnittsgenom herstellen. Mit solcherart „normierten“ Zellen wäre es bedeutend einfacher herauszufinden, ob eine Mutation mit der Entstehung von Krebs zu tun hat oder nicht.

Zellen unter dem Mikroskop

Chad A. Cowan

Menschliche Zellkulturen: künftig mit Durchschnittsgenom

Der Weg zum synthetischen Genom sieht in der Theorie so aus: Die im Computer gespeicherte Gensequenz wird zunächst von Maschinen in ihre chemische Form übersetzt. Ist dieser Schritt erreicht, muss das künstliche DNA-Molekül noch in den Kern einer Zelle. Klingt einfach, ist es in der Praxis allerdings nicht, sagt Waldminghaus. „Die Maschinen, die wir zurzeit haben, könne maximal ein paar hundert Basenpaare verknüpfen. Sind die Sequenzen länger, entstehen zu viele Fehler. Beim Humangenom sprechen wir aber von drei Milliarden Buchstaben. Das ist kein Pappenstiel.“

Arbeitsschritt Nummer zwei - die Implantierung der DNA in eine Zelle - hält ebenfalls einige Hürden bereit. Die Zellmembranen von Bakterien wie Mycoplasma eignen sich für solche Versuche ideal. Bei Säugetierzellen indes ist es schon bedeutend schwieriger Eintrittspforten für die DNA-Stücke zu finden - zumal, wenn diese auch noch tausend Mal größer sind.

Waldminghaus zufolge wäre es technisch vermutlich klüger gewesen, sich zunächst an der Hefe - einer der am besten erforschten Modellorganismen - abzuarbeiten, bevor man den großen Schritt zum Humangenom wagt. Etwa, indem man 100 verschiedene Designs für synthetische Hefegenome entwickelt. „Ein Großprojekt dieser Art muss auch die Öffentlichkeit zwingen, sich darüber Gedanken zu machen, was sie will oder nicht will. Ich gebe zu: 100-Hefen-Projekt klingt eben nicht so gut.“

Wieder ein Wettrennen?

Im Team von HGP-write fehlt übrigens ein prominenter Name: Craig Venter, der Pionier auf diesem Arbeitsgebiet, ist nicht an Bord. Das war schon in den 1990ern so, als die Sequenzierung des Humangenoms gestartet wurde. Damals hatte Venter in Eigenregie ein Konkurrenzprojekt auf die Beine gestellt und sich daraufhin mit dem staatlichen Forscherkonsortium ein spannendes Wettrennen geliefert.

Offiziell gingen Venter und die HGP-Forscher im Jahr 2003 Kopf an Kopf über die Ziellinie, doch intern war klar, wer das Duell gewonnen hatte: Es war Venters Team, von dem die entscheidenden Impulse gekommen waren. Das hat man in der Genetikerszene nicht vergessen. Unter dem Hashtag #hgpwrite war auf Twitter kürzlich zu lesen: „HGP-write ohne Venter? Die werden es nie kapieren.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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