Künstliche Organe für das All

Was passiert, wenn sich ein Mensch jahrelang im All aufhält? Untersuchungen an künstlich hergestellten Organen sollen das klären. Noch ist das technisch wie biologisch nicht möglich. Ein internationaler NASA-Forschungswettbewerb soll den Fortschritt nun vorantreiben.

Muskelschwund, Stoffwechselerkrankungen, ein durch die Schwerelosigkeit beeinträchtigtes Sehvermögen usw. - noch weiß die US-Raumfahrtbehörde NASA nicht genau, wie sich ein mitunter jahrelanger Aufenthalt im Weltall auf den menschlichen Köper auswirkt. Bis dato ist noch kein Mensch länger als 437 Tage im schwerelosen Raum geblieben, bei der NASA liegt der Rekord bei „nur“ 340 Tagen, aufgestellt von Scott Kelly in diesem Frühling. Für die Mars-Mission soll die Crew laut NASA aber drei Jahre unterwegs sein.

Wie bei Schweizer Uhr

Zur Person

Luis Alvarez ist Bioingenieur und Professor an der US Militärakademie am Department für Chemie und Lebenswissenschaften. 2009 erhielt er seinen PhD im Bereich Bioingenieurwesen.

Bis die Crew „sicher“ in Richtung Mars fliegen kann, muss die NASA noch einige Tests durchführen - allerdings sollen diese zum Teil nicht am Menschen selbst erfolgen, sondern an künstlich hergestelltem menschlichem Gewebe wie Haut oder Nieren. So die Vision der US-Raumfahrtbehörde laut einer Ausschreibung, in der sie nun Wissenschaftler weltweit dazu aufrief, ein einen Zentimeter dickes, durchblutetes Gewebestück herzustellen.

Noch ist das aber nicht möglich, erklärt Luis Alvarez, Bioingenieur an der US Militär Akademie: „Angenommen man möchte ein Stück Muskel herstellen, dann muss man zuerst an das Gefäßsystem denken, das den Muskel versorgt. Es ist wie bei einer Schweizer Uhr - auch hier gibt es viele kleine Teile, die man richtig zusammensetzen muss.“

Biologische und technische Hürden

Die Herausforderung stellt sich dabei technisch wie biologisch: „Man muss es einerseits schaffen, quasi ein Grundgerüst zu bauen, wo sich menschliche Zellen ansiedeln und so verhalten wie im natürlichen Gewebe“, so Alvarez.

Dieses Problem versuchen Materialwissenschaftler, Bioingenieure, Ärztinnen und Chemikerinnen zu lösen - auf unterschiedliche Weise. Manche benutzen einen 3D-Drucker, der anstatt Plastik zellhaltiges Gel enthält.

Ö1 Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in der Sendung „Wissen aktuell“ am 29.6. um 13:55.

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Die anderen treiben die Dezellularisierungstechnik voran: „Dabei nimmt man ein Stück Gewebe von einem Spender oder Tier und entfernt alle Zellen mit einer Art Reinigungsmittel, bis nur noch ein Grundgerüst übrig bleibt, das aus den Proteinen des Gewebes besteht“, erklärt der Bioingenieur.

Diese Zellträger nun mit Zellen zu besiedeln, ist der nächste schwierige Schritt, denn die Zellen müssen im Gewebe bleiben und sich dort wie im natürlichen Organismus verhalten. „Hier macht die Biologie aber nicht immer das, was man will. Darüber hinaus muss man auch bedenken, dass Blutgefäße unterschiedlichen Durchmesser haben“, so Alvarez.

Firma bringt Lösung einen Schritt näher

Einer der vielversprechendsten Lösungen im Bereich Biotechnik bietet zurzeit die US-amerikanische Firma Humacyte. Sie versucht, große Blutgefäße herzustellen, die bei Dialysepatienten zum Einsatz kommen sollen.

„Humacyte ist derzeit in Phase Drei ihrer klinischen Studie – damit ist man dem Ziel ziemlich nah. Vermutlich wird die Technik in drei Jahren voll zum Einsatz kommen“, so Alvarez.

Aus den großen Blutgefäßen ließe sich aber noch kein dickes Stück Gewebe bauen, denn dafür benötigt man unterschiedliche Blutgefäße - je kleiner desto schwieriger wird die Herstellung. Humacyte wird demnach zwar nicht die Lösung für die NASA bereitstellen, aber „ihre Technologie könnte helfen, große Gefäße mit kleineren Netzwerken zu verbinden.“

„Lösung in sieben Jahren“

Bis ein durchblutetes Stück Muskel erzeugt werden kann, wird es, so Alvarez, noch etwa sieben Jahren dauern. Allerdings könnten gute Forschungsansätze die Wartezeit erheblich verkürzen. Bis zum 30. September 2019 haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zeit, ihre Lösungen einzureichen.

„Die NASA Challenge hat bestimmte Ziele definiert - wie dick das Gewebe sein muss, wie lange es durchblutet bleiben muss etc. Auch wenn kein Wissenschaftsteam bis dahin alle erreichen kann, werden jene natürlich den Preis bekommen, die die Forschung entscheidend vorantreiben konnten.“

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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