Oberflächen auf Knopfdruck ändern

Eine Flüssigkeit kann eine Fläche mehr oder weniger stark benetzen. Abhängig ist dies von Kräften, die den Flüssigkeitstropfen zusammenhalten, und Kräften, mit denen der Tropfen auf der Oberfläche „klebt“. Wiener Physiker haben nun eine Oberfläche entwickelt, die sich wie mit einem Schalter elektrochemisch ändern lässt.

Der sogenannte Lotoseffekt beschreibt die geringe Benetzbarkeit einer Oberfläche: Ein Wassertropfen perlt von einem Lotosblatt völlig ab. Umgekehrt kann sich eine Flüssigkeit auf einer Oberfläche vollständig ausbreiten, beispielsweise Wasser auf sauberem Glas. Die Benetzbarkeit einer Oberfläche lässt sich aber nicht einfach ändern.

Neben Kohäsions- und Adhäsionskräften ist dabei die Haftreibung eine entscheidende Größe. Diese muss überwunden werden, damit ein Objekt über eine Oberfläche gleitet. Maßgeblich beeinflusst wird die Haftreibung durch die Nanostruktur der Oberfläche.

Spezielle Oberfläche

Wissenschaftler der Technischen Universität (TU) Wien haben mit Kollegen aus Belgien und der Schweiz nun eine spezielle Oberfläche entwickelt. Sie haben dazu eine ultradünne, nur eine Atomlage starke Schicht Bornitrid - mit gleich vielen Bor- und Stickstoffatomen - auf einen Rhodium-Einkristall wachsen lassen. Weil die Abstände zwischen den in Sechsecken angeordneten Atomen in den beiden Materialien nicht gleich sind, passen die beiden Kristallgitter nicht perfekt aufeinander. Die Bornitrid-Sechsecke müssen sich deshalb verbiegen und legen sich wellenförmig über das Rhodium.

Auf dieser wellenförmigen Oberfläche ist die Benetzbarkeit höher, ein Wassertropfen breitet sich eher wie ein Film aus. Die Bornitrid-Schicht lässt sich aber relativ einfach glatt machen. Taucht man das Material in Säure - die Forscher verwendeten Perchlorsäure - und legt eine Spannung an das Rhodium an, schieben sich Wasserstoff-Atome aus der Säure zwischen Bornitrid und Rhodium und glätten die Deckschicht. Diese wird dann deutlich weniger benetzbar.

„Wir sehen hier noch keinen spektakulären Effekt, bei dem Wasser zunächst einen flachen Film bildet und nach dem Umschalten vollständig abperlt. Aber wir haben in dieser Proof of Concept-Arbeit gezeigt, dass wir die Adhäsion der Oberfläche um etwa zehn Prozent verändern können“, sagte Stijn Mertens vom Institut für angewandte Physik der TU Wien gegenüber der APA. „Nature“ war das immerhin die Titelstory Wert.

Schalter zwischen wellig und glatt

Dazu muss man das Material gar nicht vollständig in ein Säurebad legen, das Prinzip funktioniert auch mit einem Tropfen stark verdünnter Säure. Die Größe des sogenannten Kontaktwinkels des Tropfens - der Winkel zwischen Tropfen- und Feststoffoberfläche - änderte sich dabei um bis zu knapp 20 Grad (von 23 auf 40 Grad).

Sowohl durch Änderung der Spannung als auch durch Aufheizen des Materials können die Wasserstoff-Atome zwischen dem Bornitrid und Rhodium wieder entfernt werden, womit die Oberfläche wieder wellig wird. „Wir können also elektrochemisch die Benetzbarkeit der Oberfläche beliebig ändern“, sagte Mertens.

Das besondere an der Methode ist, dass keine organischen Moleküle dafür verwendet wurden, wie das bei bisherigen Ansätzen zur Veränderung der Benetzbarkeit der Fall war. „Wir haben das Material sogar im Vakuum auf 1.000 Grad Celsius erhitzt und es behält seine Eigenschaften, das ist bei organischen Molekülen undenkbar“, Mertens.

Der Physiker erhofft sich von dem schaltbaren Bornitrid-System tiefere Einblicke in das Phänomen der Haftreibung, das zwar alltäglich, aber „wissenschaftlich sehr schlecht verstanden“ sei. Denkbar wäre auch im biologischen Bereich die Beeinflussung von Zellbewegungen auf einer Oberfläche durch mehr oder weniger Haftung zwischen Zellen und Oberfläche. Möglicherweise würden weiterentwickelte Versionen des Materials erlauben, auf Knopfdruck zwischen perfekt benetzbar und völlig wasserabstoßend zu schalten.

science.ORF.at/APA

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