Streit auf dem Rücken der Ärmsten

Kann Gentechnik in der Landwirtschaft den Hunger der Welt bekämpfen? Über 100 Nobelpreisträger meinen Ja und haben einen offenen Brief dafür unterschrieben. Greenpeace kämpft weiter dagegen – ein heimischer Experte fordert nun politische statt technologischer Lösungen.

„Wir wissen inzwischen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen sicher sind“, sagt Richard Roberts, Gewinner des Medizinnobelpreises 1993. „Die Methode an sich führt nicht zwangsläufig zu etwas Schlechtem.“

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichteten auch die Ö1 Journale, 7.7., 12:00 Uhr.

Greenpeace und andere Organisationen sollten wissenschaftliche Erkenntnisse anerkennen und ihren Kampf gegen gentechnisch veränderte Pflanzen, wie vor allem den „Goldenen Reis aufgeben“. So heißt es in einem offenen Brief, der von mehr als 100 Nobelpreisträgern und -preisträgerinnen unterschrieben wurde und an alle Regierungen weltweit und die UNO adressiert ist.

„Goldener Reis“ – eine Reispflanze die durch gentechnische Veränderung mit Beta Carotin, also Provitamin A, angereichert ist – könne helfen, die Mangelerscheinungen bei 250 Millionen Menschen zu beheben.

Gefährliche Illusion?

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace weist die Anschuldigungen zurück und verweist darauf, dass der Nutzen des Gentech-Reis laut dem Internationalen Institut für Reisforschung gar nicht erwiesen sei.

Den Vitamin-A-Mangel mit Goldenem Reis zu bekämpfen, sei eine „gefährliche Illusion“. Laut Greenpeace gebe es sinnvollere Wege, wie die Verteilung von Pillen oder die Beimischung in Grundnahrungsmittel. Die einzige Lösung im Kampf gegen Mangelernährung sei eine ausgewogene, gesunde Ernährung. Und diese zu erreichen müsse vorrangiges Ziel sein.

Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, hat berechnet, dass die Nahrungsmittelproduktion im Kampf gegen Hunger bis zum Jahr 2050 verdoppelt werden müsse.

Irakische Frauen bei der Reisernte

Quassem Zein / AFP / picturedesk.com

Irakische Frauen bei der Reisernte

science.ORF.at hat nun Michael Hauser gefragt, was er von den Argumenten der beiden Seiten hält. Hauser ist Agrarökologe und Leiter des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Universität für Bodenkultur in Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Agrarökologie, biologischer Landbau, Innovationsforschung und Entwicklungszusammenarbeit.

science.ORF.at: Ist die Gentechnologie der Schlüssel zur Lösung des Problems, kann „Goldener Reis“ wirklich den Vitamin-A-Mangel beheben helfen?

Michael Hauser: Dass sich Menschen nicht ausreichend mit Vitamin A versorgen können, ist kein technologisches Problem, sondern ein Problem der Verteilungsgerechtigkeit, ein Problem des ungleichen Zugangs zu verfügbaren Lebens- und Nahrungsmitteln. Und unter dem leiden Menschen in Armut ganz besonders. Es ist nicht zu erwarten, dass über eine singuläre Technologie ein Strukturproblem zu lösen ist wie eben der Mangel an Vitamin A. Mittel und langfristig wird der Goldene Reis also das Zugangs- und Verteilungsproblem nicht lösen, dazu braucht es politische Maßnahmen.

Porträtfoto von Michael Hauser

Lorenz Probst

Michael Hauser

Und wie kann kurzfristig geholfen werden?

Unmittelbare zum Beispiel durch die Bereitstellung von Präparaten oder eine Beimischung zu Grundnahrungsmitteln. Aber wir müssen längerfristig und vor allem verantwortungsvoll denken und planen.

Was bedeutet das?

Es braucht politische Entscheidungen und keine Abwälzung der Lösungsverantwortung auf irgendwelche Technologien. Denn wenn strukturelle Maßnahmen und technologische Maßnahmen vermischt werden, nimmt man dadurch eigentlich jene aus der Verantwortung, die für politische Lösungen verantwortlich wären.

Wie ist das zu verstehen?

Wir haben dieses Phänomen bei der Kompensation von Treibhausgasen, wo reiche Länder dafür bezahlen, dass sie Ziele nicht einhalten. Wir haben das Problem auch in der aktuellen Flüchtlingsdebatte, wo es die Idee gibt, sich von Quoten freizukaufen – und wir haben ein analoges Thema in der Mangel- und Fehlernährung, wo man versucht, den eigentlichen Verursacher aus der Verantwortung freizukaufen anstatt Strukturmaßnahmen zu treffen, damit sich die Menschen ausreichend mit Vitamin A versorgen können.

Wohin führt das?

Zu einer Auslagerung von Verantwortung über den Weg der Technologie, in weiterer Folge zu einer Degradierung von ethischen Standards und letztlich auch von Moral, die ja die Gesellschaft zusammenhält. Wir können eine moralische Frage nicht mit einer technologischen Intervention wie dem Einsatz einer gentechnisch veränderten Pflanze lösen.

Was ist zu tun?

Der Mangel an Vitamin A ist auch Ausdruck einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung, vor allem Frauen sind betroffen. Weil sie – und die Kinder – die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft sind. Die Wurzeln dieser Diskriminierung sind politischer und kultureller Art, über lange Zeiträume gewachsen, und alles andere als zeitgemäß. Diese Ungerechtigkeiten gilt es zu eliminieren. Viele Studien haben gezeigt, dass Frauen, wenn sie über das Haushaltseinkommen bestimmen, anders als Männer das Geld in Nahrung, Gesundheitsvorsorge und Bildung investieren. Also ist Frauenförderung und Gleichberechtigung ein wichtiger Schritt zur Minderung der Mangelernährung und im Kampf gegen die Armut.

Also gesellschaftspolitische Entscheidungen statt Hoffnung auf Superpflanzen?

Die Gesellschaft muss entscheiden, welchen Weg sie gehen will – das darf man keiner Technologie überlassen.

Josef Glanz, science.ORF.at

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