Ist Autismus eine Infektionskrankheit?

Störungen des Immunsystems führen mitunter zu schwerwiegenden Krankheiten - auch im Gehirn: Laut Tierversuchen von US-Forschern könnten Infektionen sogar psychische Erkrankungen wie Autismus oder Schizophrenie auslösen.

Seit Jahren vermuten Forscher, dass Beeinträchtigungen des Immunsystems in Verbindung mit psychischen Problemen stehen könnten. Welche Mechanismen dafür verantwortlich sind, war aber bisher unbekannt.

Diese haben Forscher der University of Virginia nun aufgeklärt. Ihre Versuche mit Mäusen beweisen, dass Störungen des Immunsystems zu sozial auffälligem Verhalten führen, wie es bei Autismus oder Schizophrenie der Fall ist.

Erstmals Beweise an Mäusen

Der Versuch im Detail: Nach „Ausschalten“ eines einzelnen Moleküls im Immunsystem verloren die Nager weitgehend das Interesse an ihren Artgenossen. Das ist insofern auffällig, als Mäuse sehr soziale Tiere sind und normalerweise viel Zeit mit dem Inspizieren von anderen Mäusen verbringen.

Außerdem wiesen die immungeschwächten Mäuse übermäßige Aktivität in einer bestimmten Gehirnregion, dem präfrontalen Cortex, auf. „Das sind Verhaltensweisen, wie sie bei Autismus auftreten", kommentiert Dustin Penn, Verhaltensbiologe an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der an der Studie nicht beteiligt war.

Das Bindeglied: Interferon-γ

Das besagte Molekül heißt Interferon-γ (Gamma). Es ist ein Signalstoff, der bei der Abwehr von Eindringlingen im Gehirn Alarm schlägt. Ist die Ausschüttung des Interferons blockiert, ist es so, „ … als würde der Flughafen einer Kleinstadt auf einmal zu einem wichtigen Knotenpunt werden. Es gäbe ein riesiges Chaos in der Luft. Dasselbe passiert mit dem Gehirn: Es kann auf einmal nicht mehr normal funktionieren. Wenn wir das Molekül zurückgeben, beruhigt sich das System und alles funktioniert wieder normal“, so Studienautor Jonathan Kipnis.

Die Interferone werden von sogenannten Mikroglia-Zellen im Gehirn gebildet. Sie übernehmen dort die Aufgaben, die im restlichen Immunsystem von den Makrophagen (eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen) erledigt werden.

Dass das Gehirn ein eigenes Immunsystem besitzt, ist sinnvoll: Anders als zum Beispiel Gewebezellen wachsen Nervenzellen kaum nach. Bei der Abwehrreaktion, wie sie an einer infizierten Wunde stattfindet, werden nicht nur abgestorbene, sondern auch immer wieder gesunde Zellen „gefressen“, um sicher zu gehen, dass alle möglichen Keime eliminiert werden. Das ist nicht weiter schlimm, weil sie regeneriert werden können. Im Gehirn wäre dieser Prozess fatal. Würden Nervenzellen von Fresszellen angegriffen, wäre der Schaden erheblich.

Dennoch muss sich auch das Gehirn gegen Eindringlinge verteidigen. Dafür sorgt die Blut-Hirn-Schranke. Nur ein Bruchteil von Krankheitserregern kann sie passieren, diese sind aber umso gefährlicher. Meningokokken und Streptokokken, die zu einer Hirnhautentzündung führen können, sind Beispiele dafür.

Wiederherstellung des Normalzustands

Wie die Forscher im Fachblatt „Nature“ schreiben, waren die psychischen Störungen der Mäuse umkehrbar: Erhielten die Versuchstiere eine Dosis Interferon-γ, verhielten sie sich wieder normal.

Laut Penn wäre das auch ein denkbarer Ansatz für medizinische Therapien, Kipnis und seine Kollegen bleiben hier allerdings vorsichtig: Ob man Autismus oder Schizophrenie eines Tages auf diese Weise behandeln könnte, sei unklar. Klinische Tests müssen nun zeigen, ob der Einsatz von Interferon auch in der Psychiatrie sinnvoll ist.

Alexa Lutteri, science.ORF.at

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