Forscher als Systemfeinde

Die Türkei ist nach dem Putschversuch letzte Woche im Ausnahmezustand, das betrifft auch die türkische Wissenschaft: Wie reagieren Forscher auf das kürzlich ausgesprochene Verbot, dienstlich ins Ausland zu reisen? Wir haben nachgefragt.

Die Türkei ist in der internationalen Forschungsgemeinschaft gut vernetzt: Der Europäische Forschungsrat fördert Projekte mit Beteiligung türkischer Universitäten mit ungefähr 25 Millionen Euro. Bei Horizon 2020, dem Forschungsförderprogramm der EU, ist die Türkei an rund 200 Projekten beteiligt.

Das Reiseverbot für türkische Wissenschaftler erschwere nun die internationale Arbeit, es schade dem Prestige und langfristigen Partnerschaften, meint die in Wien ausgebildete und in Istanbul arbeitende Historikerin Asli Odman.

Bildungsinvestition von Jahren in Gefahr

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Über dieses Thema berichtete heute auch das Ö1-Mittagsjournal, 27.7., 12.00 Uhr.

Aber auch im eigenen Land mache man jahrelange Arbeit kaputt - die Regierung habe die jetzt verfolgte Gülen-Bewegung früher unterstützt, tausende Stipendien, Ausbildungsplätze und akademische Stellen vorzugsweise an ihre Anhänger vergeben, sagt Odman: „Jetzt machen sie etwas Falsches noch falscher, jetzt wollen sie dieses ganze Potenzial reinigen.“ Tausende Lehrer, Ärzte, Polizisten – im Fall der Gülen-Bewegung seien das vor allem Männer, so die Wissenschaftlerin, seien auf diesem Pfad so ausgebildet worden. Und sollen alle aus dem System entfernt werden.

Fast 15.000 Universitäts-Angehörige wurden bereits suspendiert - mehr dürften folgen, denn die Rektoren sollen nun Listen anlegen, die Gülen-Anhänger benennen, erzählt Odman. An einer Universität in Van, im Osten des Landes, habe sich schon gezeigt, dass auf diesen Listen auch andere Unliebsame landen können.

Unsicherheit an den Universitäten

Wie die Listen erstellt werden oder woher die Rektoren wissen sollen, wer welche politische Einstellung hat, das bleibe unklar. Das sei das eigentlich Schlimme an der Sache - diese Listen könne man nicht prüfen oder anfechten.

Odman macht sich trotz allem keine Sorgen, wenn ihr Name jetzt in den Medien auftaucht. Als kritisch bekannt sei sie sowieso schon: „Wenn man wirklich jemanden entlassen will, dann findet man die Ausreden. Was ich jetzt noch dazu mache, das wird daran nichts ändern, das ist meine Einstellung.“

Kritische Intellektuelle unter Druck zu setzen - das gab es auch schon zuvor. Im Jänner etwa hatten Aktivisten eine Friedenspetition zum Konflikt mit den Kurden veröffentlicht. Daraufhin druckten regierungsnahe Medien Fotos der Petitionsunterstützer ab, die Bildunterschriften nannten sie Anhänger des Terrors, Mobbing und Entlassungen folgten. Jetzt gehe das eben unter anderen Vorzeichen weiter, sagt die Historikerin. In der Bevölkerung herrsche ein Gefühl der Angst.

„AKP hat Staat an die Wand gefahren“

Am 22.Juli schon hat der türkische Hochschulrat (YÖK) das Auslandsreiseverbot abgeschwächt – mit Genehmigung des jeweiligen Rektorats sind sie in Sonderfällen möglich. Aber wohl nicht sofort – und auch Urlaub bleibt weiter gestrichen, denn nach den mehr als 30.000 Suspendierungen an Schulen und Universitäten - und dem erzwungenen Rücktritt von 1.577 Dekanen an den Hochschulen - wird man wohl alle Mitarbeiter brauchen.

Die suspendierten Beamten fehlen gerade im Bildungssektor, der tatsächlich stark von der jetzt verpönten Gülen-Bewegung geprägt war, meint auch Hakan Akbulut vom Österreichischen Institut für Internationale Politik in Wien (oiip): „Wir sind jetzt an einem Punkt, wo man sagen könnte, dass die AKP den Staat an die Wand gefahren hat.“

Schon im Jänner nach der erwähnten Friedenspetition habe Präsident Erdogan mit Äußerungen zur Wissenschaft aufhorchen lassen, erklärt Akbulut: „Wissenschaftliche Tätigkeit kann aus seiner Perspektive genauso als Terrorismus gedeutet werden.“

Ob man als Forscher oder Forscherin da besser im Ausland bliebe, wenn man die Möglichkeit hat? „Man kann im Moment von einer Hexenjagd sprechen - und dadurch wird’s für alle gefährlich, glaube ich“, sagt Akbulut. Die eigentliche Frage sei aber: „Kann man dem Rechtsstaat in der Türkei noch trauen?“

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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