„Wenn ich hier rauskomme, gehen wir campen“

Die Natur hat positive Effekte auf unsere Psyche. Auch virtuell. Eine Studie an Gefängnisinsassen zeigt, dass Naturfilme gewalttätige Übergriffe deutlich reduzieren können.

Rund acht Quadratmeter grauer Beton, ein Bett, ein Klo und eine Tür aus Metall. Die Fenster weisen in den Gang. Irgendwo dahinter eine fünf Meter hohe Wand und Stacheldraht. Überwachung 24 am Tag, sieben Tage die Woche. Die Freiheit scheint in einer Hochsicherheitszelle ungreifbar. Sich in einer so unmenschlichen Umgebung bewusst zu machen, dass man das Gras vielleicht nie wieder zwischen den Zehen spüren kann, lässt viele der Insassen verzweifeln. Verletzungen und Aggressionen gegenüber sich selbst, anderen Insassen und Wärtern stehen in der Snake River Correctional Insitution in Oregon auf der Tagesordnung.

Die Psychologin Patricia Hasbach hat sich gemeinsam mit (vor allem weiblichen) ForscherInnen und Forschern in diese Anstalt begeben, um zu testen, wie das Verhalten der einsitzenden Schwerverbrecher verbessert werden kann.

Die Natur beruhigt

Hasbach macht die Abschottung von der Natur für die angespannte Psyche der Gefangenen verantwortlich. „Wir brauchen die Natur für unser körperliches und für unser psychisches Wohlbefinden. Obwohl direkter Kontakt mit der Natur am Effektivsten ist, haben Studien gezeigt, dass auch eine indirekte Begegnung den psychischem Alltagsstress dämpfen kann“, so Hasbach bei einem Vortrag der American Psychological Association.

Im Innenhof, der von den Insassen vier bis fünf Mal pro Woche je eine Stunde für körperliches Training benutzt werden kann, haben die Forscher einen Projektor aufgebaut, der Naturdokumentationen überträgt. Anhand anschließender Befragungen sowie verminderter Berichte über Zwischenfälle haben sie festgestellt, dass sich die Filme positiv auf die Gemüter auswirken. „Negative Emotionen, wie Aggression, Verzweiflung, Reizbarkeit und Nervosität traten weniger häufig auf und waren noch mehrere Stunden nach dem Ansehen der Videos geringer“, so Hasbach.

Im beobachteten Jahr konnten 26 Prozent weniger gewalttätige Verstöße, Ordnungswidrigkeiten und Auseinandersetzungen verzeichnet werden. Das bedeutet laut den ForscherInnen eine beträchtliche Verbesserung, wenn man bedenkt, dass fast alle dieser Vorfälle mit Verletzungen von Gefangenen oder Wachen einhergehen.

91 Prozent der Insassen bestätigten, dass sie sich beruhigt fühlten, nachdem sie die Naturfilme gesehen hatten. Ein Insasse beschreibt: “Ich muss daran denken, was ich machen würde, wenn ich nur könnte. Ich frage mich, ob es Bären in den Bergen gibt und was ich tun würde, wenn ich draußen wäre. Zu meinen Kindern sage ich: ‚Wir gehen campen, wenn ich hier rauskomme‘. Es bringt mich zum Nachdenken.“

Wälder, Berge und Wasser

Auch die Kommunikation zwischen dem Wachpersonal und den Gefangenen hat sich deutlich verbessert. Bei drohenden Konflikten konnten Wächter den Streithähnen ein paar Minuten im „Kino“ verordnen, wonach sich die Kampfeslust minimierte. „Die Reaktionen waren verblüffend. 15 bis 20 Minuten reichten aus, um sie zu beruhigen“, so ein Beamter. Umgekehrt beurteilten auch die Gefangenen solche „Bestrafungen“ als positiv: „Es zeigt, dass sich die Wächter um uns sorgen und wir ihnen nicht egal sind.“

Am liebsten sahen sich die Verbrecher Aufnahmen von weiten, offenen Landschaften, Regenwäldern, Bergen und Wasserwelten an. Dabei wollten sie lieber natürliche Geräusche hören als Musik.

Einschränkend fügt Patricia Hasbach hinzu, dass die bloße Anwesenheit der ForscherInnen die Befragung möglicherweise beeinflusst haben könnte. Außerdem wurde nicht überprüft, ob nur Naturvideos einen solch positiven Effekt erzeugen oder ob auch andere Arten von Filmen aggressives Verhalten reduzieren können. Dies solle in Zukunft genauso beantwortet werden wie die Frage, welche Elemente der Naturfilme genau für die Besänftigung verantwortlich sind.

Alexa Lutteri, science.ORF.at

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