Historiker Ernst Nolte ist tot

Der deutsche Historiker Ernst Nolte ist am 18. August mit 93 Jahren in Berlin gestorben. 1986 hatte Nolte den „Historikerstreit“ ausgelöst: Seine These, wonach der Nationalsozialismus eine Antwort auf die Russische Revolution war, brachte ihm den Vorwurf der Holocaust-Relativierung ein.

Der Historikerstreit beschäftigte die Zunft und die Medien über Monate. Der Philosoph Jürgen Habermas bezichtigte Nolte des Revisionismus. Mit der Deutung des Nationalsozialismus als Antwort auf die bolschewistische Bedrohung nehme Nolte dem Nazismus seine Singularität und mache Adolf Hitlers Verbrechen „mindestens verständlich“. „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein beschuldigte Nolte, das Bürgertum, die Generalität und den Massenmörder Hitler zu entlasten.

Die Behauptungen Noltes gelten in der Forschung inzwischen als widerlegt. Doch Nolte hatte einen Nerv berührt. Der Vergleich von Unterdrückungssystemen wie Bolschewismus und Nationalsozialismus rückten mit dem Niedergang der Sowjetunion wieder in den Mittelpunkt.

Lange Zeit hatte gegolten, dass es zwischen dem sowjetischen Kommunismus und dem Nationalsozialismus einen unüberbrückbaren Gegensatz gibt. Viele wollten in der Sowjetunion noch an einen humanen Kern glauben. Doch mit der Öffnung der Archive wurde das ganze Ausmaß der Verbrechen der Stalin-Ära bekannt.

Ernst Nolte

AFP PHOTO / DANIEL JANIN

Ernst Nolte bei einer TV-Debatte in Paris 2002

Wie war Hitler möglich?

Der Historiker selbst sah sich durch Vorwürfe seiner Kollegen, er habe die Nazis verharmlost und sich in die Nähe der Holocaust-Leugner begeben, ungerecht behandelt. Er habe lange als Verlierer der Debatte gegolten, sagte Nolte der dpa 2008. „Vielleicht hat sich das geändert.“

In seinen Büchern über die Weimarer Republik und Europa griff er seine Thesen wieder auf, die immer wieder um die Frage kreisten: Wie war Hitler möglich? Es galt für ihn noch immer, dass Nationalsozialismus und Kommunismus die Kontrahenten eines „europäischen Bürgerkrieges“ waren, wie er es bereits in seinem 1987 unter diesem Titel erschienenen Buch beschrieben hatte.

Klassenmord und Rassenmord verknüpft

Der in Witten geborene Sohn eines Volksschuldirektors gilt trotzdem als einer der führenden deutschen Historiker der Nachkriegszeit. Seine Habilitationsschrift „Der Faschismus in seiner Epoche“ (1963) ist noch heute ein Standardwerk. Die bürgerliche Gesellschaft, so meinte er, habe mit Faschismus und Bolschewismus zwei „ideologische Vernichtungspostulate“ erzeugt. Für Hitler seien der „Antimarxismus“ und der Kampf gegen die russische Oktoberrevolution eine zentrale Triebfeder gewesen. In diesem Zusammenhang müsse die Auslöschung des europäischen Judentums gesehen werden.

Nolte, der 1973 an die Freie Universität Berlin berufen wurde und bis 1991 als Ordinarius im Fachbereich Geschichte lehrte, spitzte seine Thesen immer weiter zu. In dem 1986 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichten Artikel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ sprach er dann von einem „kausalen Nexus“ zwischen Archipel Gulag und Auschwitz.

Hitler habe vermutlich in der „asiatischen Tat“, mit der Wladimir Lenin und Josef Stalin die Bourgeoisie vernichten wollten, eine Bedrohung gesehen. Hitler sei eine Reaktion auf Lenin. Zwischen dem „Klassenmord“ der Bolschewiken und dem späteren „Rassenmord“ der Nazis könnte eine logische und faktische Verknüpfung bestehen. Befremdlich für viele war, wie stark Nolte die führende Rolle von Juden in der bolschewistischen Revolution betonte.

science.ORF.at/dpa

Mehr zu dem Thema: