Sparpolitik macht Männer „sporno“

Sixpacks, glatte Oberkörper und Tattoos: So sehen viele Männer heute aus. Hinter der Stärke ihrer Muskeln verbirgt sich aber oft eine ökonomische Schwäche, meint ein britischer Forscher. Die aktuelle Sparpolitik werde zu noch mehr „Spornosexuellen“ führen.

Schaut man sich im Freibad um, kann man sie nicht übersehen: aufgepumpte Oberkörper, definierte Waden und in der Hand der Selfiestick. Flugs werden dort oder im eigenen Schlafzimmer Aufnahmen gemacht und über soziale Medien geteilt.

Schon vor zehn Jahren hat der britische Journalist Mark Simpson einen Namen für die jungen Männer geprägt: Er nannte sie „spornosexuell“. „Spornos“ wollen laut Simpson gleichzeitig Muskeln haben wie Sportler und erotisch sein wie Pornostars.

Neuer Weg, um Männlichkeit auszudrücken

Zehn Jahre später sind die Spornos dank Facebook, Instagram und Co. allgegenwärtig. Der Trend hat aber laut einer neuen Studie Jamie Hakim von der University of East Anglia nicht nur etwas mit den sozialen Medien zu tun. Der Medienwissenschaftler meint, dass sich junge, weiße, der Mittelschicht angehörige Männer wegen der Wirtschaftskrise neue Wege suchen, um Erfolg und Stärke zu beweisen.

„Die Sparpolitik hat ihre traditionellen Wertschöpfungsmittel untergraben. Um in der Gesellschaft anerkannt zu werden, müssen sie sich deshalb vermehrt auf ihre Körper verlassen.’Spornosexualität’ ist eine körperliche Antwort auf die materielle Veränderungen der neoliberalen Sparmaßnahmen“, so Hakim.

Körper als verbliebenes Kapital

Hinweise darauf führt der Forscher in seiner Studie zuhauf aus: So nehmen seit 2008 – dem Jahr, als die Großbank Lehman Brothers krachte – etwa die Einschreibungen in Fitnessstudios in Großbritannien zu. Sportlernahrung fand Eingang in Supermärkte und verkaufte sich 2013 um 40 Prozent besser als 2006.

Laufende Männer machen Selfie

REUTERS/Rafael Marchante

Das Fitnessmagazin „Men’s Health“ wurde zum Beststeller unter Männermagazinen, in einer Zeit, in der die Verkaufszahlen der Branche generell drastisch abnahmen. „Selfie“ wurde zum Wort des Jahres 2013 gekürt und unter Hashtags wie #healthie, #fitness und #muscle finden sich zig Millionen Einträge, die vor allem durchtrainierte Männerkörper zeigen.

“Der Anstieg von Männern, die Fitnessstudios besuchen und Fotos von sich teilen, hängt eindeutig mit der Wirtschaftskrise 2008 zusammen. Das ist kein Zufall“, so Hakim.

Die im Zuge der Finanzkrise getroffenen Sparmaßnahmen erweitern seiner Meinung nach soziale Ungleichheiten - vor allem für diejenigen, die nach 1980 geboren sind. Sie müssten mehr für Wohnungen und Ausbildung zahlen, haben geringere Berufschancen und seltener langfristige Arbeitsverträge als die Älteren. Anstatt auf ihren Verstand zu setzen investieren sie deshalb oft lieber in ihre Körper.

“Eine der wenigen gebliebenen Freuden“

Das zeigen neben einem Literaturvergleich auch Interviews, die Hakim mit „Spornos“ führte: Es geht ihnen demnach vor allem um Anerkennung unter Gleichaltrigen und das Aufbauen einer „Marke“ in sozialen Medien. „Das Anhäufen spornosexuellen Kapitals zählt zu den wenigen Freuden, die jungen Männern in Großbritannien nach der Sparpolitik noch bleibt“, so Hakim.

„Spornosexuelles Kapital“ ist sowohl sexuelle Begehrtheit als auch soziale Beliebtheit, die sich durch Likes, Tags und Kommentare im Freundeskreis ausdrücken. Die Interviewten gaben an, sich nie gelangweilt oder traurig zu fühlen. Kraft, Disziplin, Euphorie, Stolz und Zufriedenheit treibt sie an: Dinge, die sie ihrer Ansicht nach anderswo nicht mehr erreichen können. Sie bezeichnen sich in den Interviews zwar selbst manchmal als „verrückt“ und „süchtig“, aber die positiven Gefühle überwiegen.

„Es scheint ihnen weniger darum zu gehen, ihre Muskeln als Zeichen für Fitness zur Schau zu stellen, wie das etwa Bodybuilder machen, sondern eher darum sexuell begehrt zu werden. Deswegen auch die sexuell aufgeladenen Posen auf Fotos in meist privater Umgebung wie dem eigenen Schlaf- oder Badezimmer“, so Hakim gegenüber science.ORF.at, „Es sind zwar keine pornografischen Bilder, aber sie sind erotisch. Insofern ist der von Mark Simpson geformte Begriff nicht optimal formuliert, benennt aber das Phänomen, das ich in meiner Studie beschrieben habe.“

“Mind over body“ gilt nicht mehr

Woher aber kommt der positive Selbstbezug auf den eigenen Körper der – zumeist streng heterosexuellen – jungen Männer? Historisch war das eher eine Domäne von Homosexuellen und Frauen. Die im Umfeld von Andy Warhol gemachten Fotos der Schwulenikone Peter Berlin aus den 70er Jahren etwa sehen so aus wie durchschnittliche Selfies aus dem Sporno-Fitnesscenter von heute. Der weibliche Körper wurde historisch sowieso viel häufiger zur Schau gestellt als der männliche.

Hakim argumentiert die Änderung des heterosexuellen Männerbildes folgendermaßen: Machthierarchien waren in der (Spät-)Moderne nach dem Prinzip „Mind over body“ - also Verstand über Körper - aufgebaut. Nach diesem Prinzip hatten es die Überlegenen nicht nötig, sich darzustellen: Die weiße, heterosexuelle, männliche Mittelklasse hat sich über ihren Verstand definiert, während sich diejenigen, die sie als untergeordnet betrachteten (Frauen, Schwarze, Arbeiterklasse, Homosexuelle) Anerkennung über ihre Körper einholten.

Muskeln wurden mit handwerklichen Tätigkeiten, Sklaverei, Hausarbeit und Sexarbeit in Verbindung gebracht. In diesen Gruppen spielte der Ausdruck über den Körper also schon länger eine Rolle.

Noch mehr britische „Spornos“ wegen Brexit?

Für die heterosexuelle, weiße Mittelschicht ist „sporno“ hingegen etwas relativ Neues – Digitalisierung und die größer werdende soziale Ungleichheit befeuern das Phänomen. Insofern kann man die Stärke der Muskeln als ein Zeichen objektiver Schwäche sehen. Dank Emanzipation, Bürgerrechtsbewegung und Co. sind Frauen und andere Gruppierungen in Domänen eingedrungen, die bis dahin den privilegierten weißen Mittelschichtlern vorbehalten waren – die Finanzkrise und die darauf folgende Austeritätspolitik verschärfen die Tendenz.

Wenn die Studie Recht behält, könnte der Brexit bald die nächste Welle spornosexueller Männer in Großbritannien erzeugen. „Die Effekte werden uns nicht so schnell treffen und es ist schwer vorherzusagen, wie sie Menschen in alltäglichen Situationen beeinflussen. Aber es wäre jedenfalls interessant zu sehen, ob und wie Brexit Menschen im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Körper beeinflusst“, so Hakim.

Alexa Lutteri, science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: