Wie Twitter das Trauern verändert

Soziale Medien verändern die Art, wie wir kommunizieren - auch nach dem Tod. Speziell auf Twitter verschwimmen die Grenzen zwischen privat und öffentlich, wie eine Studie von Twitterprofilen Verstorbener zeigt.

Die Geburt eines Kindes, das eigene Badezimmer und nackte Oberschenkel werden, seit es soziale Medien gibt, öffentlich in großem Maßstab geteilt: Dinge, die zuvor intim waren und größtenteils im Privaten blieben.

Das Mitteilungsbedürfnis beschränkt sich aber nicht nur auf positive Erlebnisse. Auf Twitter, Facebook und Instagram wird auch Anteil genommen am Tod von Prominenten, von Freunden und Familienmitgliedern, sogar von eigenen Haustieren. Kommentare ersetzen Beileidskärtchen. Anstatt Blumen auf ein Grab zu legen, werden Nachrichten und Fotos glücklicher Momente auf Profile Verstorbener gepostet.

Verschwommene Grenzen von privat und öffentlich

Die Soziologinnen Nina Cesare und Jennifer Branstad von der University of Washington haben nun untersucht, wie sich das auf die Art und Weise des Abschiednehmens auswirkt. Die Sozialen Medien „bringen unbekannte Personen zusammen, die über den Tod auf einzigartige Weise sprechen“, so Cesare bei der Jahrestagung der Amerikanischen Soziologenvereinigung in Seattle, wo die Studie präsentiert wurde.

Die beiden Forscherinnen haben dafür fast 21.000 Todesanzeigen der Website MyDeathSpace.com durchforstet und daraus 39 Personen mit Twitterprofilen ausgewählt. Die meisten der Todesfälle waren durch Suizid, Autounfälle und Schießereien zu beklagen. Während Suzid aus Angst vor Nachahmern in vielen traditionellen Medien eher verheimlicht wird, werden diese und andere schreckliche Todesursachen in den Sozialen Medien öffentlich stark diskutiert.

Twitter wurde von den Forscherinnen ausgewählt, weil hier die Grenzen zwischen privat und öffentlich noch verschwommener sind als etwa bei Facebook. Während bei Letzterem noch ein mehr oder weniger großer Freundeskreis in die Trauer einbezogen wird, sind Profile auf Twitter größtenteils auch völlig Unbekannten zugänglich. Und das wirkt sich auf die Kommunikation aus.

Zu den Kommentaren Außenstehender zählen nicht nur betroffene Nachrichten (wie „es macht mich traurig, vom Tod dieses Mädchens zu hören“), sondern auch allgemeine Lebensweisheiten („deshalb sollte man jeden Tag wie seinen letzten leben“) und hasserfüllte Nachrichten („verantwortungsvoller Waffenbesitz muss gelernt sein - das wusste der Typ wohl nicht“). Twitter wird auch bei Todesfällen zum Diskutieren und Debattieren verwendet, sagen die Forscherinnen, „und sogar zum Heiligsprechen oder Verurteilen der Verstorbenen.“

“Zusammen über den Tod sprechen“

Der Umgang mit dem Tod hat sich in der westlichen Kultur im 20. Jahrhundert stark verändert. Zuvor spielte er eine wesentliche Rolle im öffentlichen Leben: Klageweiber und aufwändige Bestattungszeremonien haben ganze Gemeinden in die Trauer miteinbezogen. Durch die Säkularisierung und den medizinischen Fortschritt wurde der Tod zu einem Tabuthema und immer mehr von der Öffentlichkeit in kleine, private Kreise gedrängt.

Internet und Soziale Medien sind dabei, das wieder zu verändern. „Soziale Medien wie Twitter leisten einen großen Beitrag dafür, dass die Trauergemeinde nach außen hin vergrößert und ein Raum geschaffen wird, in dem Leute zusammen über den Tod sprechen können. Das ist neu“, so die Forscherinnen.

Drei Gruppen von Twittertoten

Sie haben in ihrer Studie drei Gruppen von Twittertoten ausgemacht. Bei der ersten handelt es sich um persönliche Bekannte, die Kommentatoren sind Freunde oder Verwandte. Bei ihren Botschaften geht es um ein Beklagen des Verlusts und um den Versuch, in irgendeiner Weise die Beziehung zum Verstorbenen aufrechtzuerhalten. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Prominente, hier dreht sich die Kommunikation um die Bedeutung und das Erbe der Toten.

Die dritte Gruppe bezeichnen die Forscherinnen als die „wahrscheinlich einzigartigste“: Personen, die aufgrund der Offenheit von Twitter nach ihrem Tod zu einer gewissen Berühmtheit geworden sind – etwa die Frau, die nach ihrem Krebstod zum Symbol für den Kampf gegen die Krankheit wird, oder der Tod eines Waffenrechtsaktivisten, der Freund und Feind auch nach seinem Ableben zum Streit über seine Ansicht animiert.

Die Kontextlosigkeit von Twitter, die es jedem und jeder ermöglicht, an der Diskussion teilzunehmen, verstärkt diese Tendenz. Und das hat Vor- und Nachteile, wie Nina Cesare und Jennifer Branstad in ihrer Studie schreiben. Zum einen könnten persönliche Gedanken über die Sterblichkeit breiter geteilt werden, zum anderen sind auch die toten Profile nicht gefeit vor hasserfüllten Kommentaren. Deshalb „brauche es auch durchaus neue Normen, die festlegen, was in diesem Zusammenhang angebracht ist, und was nicht“, so Cesare.

Nach ihrer deskriptiven und recht kleinen Studie wollen die beiden Forscherinnen in Zukunft nachlegen: Textanalysen von Twitterkommentaren über längere Zeiträume sollen zeigen, wie sich die Trauer im Zeitalter des Internets genau verändert.

Alexa Lutteri, science.ORF.at

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