Ein gutmütiger Imperialismus

Glaube an Vernunft und Fortschritt, Gleichberechtigung von Ethnien, keine Wirtschaftssorgen: Die Welt von „Raumschiff Enterprise“ ist freundlich. Hinter den „Reisen in die unendlichen Weiten“ verbirgt sich aber auch ein Imperialismus – ein gutmütiger.

Das meint der Amerikanist Stefan Rabitsch von der Universität Klagenfurt zum 50. Geburtstag der Science-Fiction-Serie. Am 9. September 1966 hatte der US-TV-Sender NBC die erste Folge von „Raumschiff Enterprise“ ausgestrahlt. Im science.ORF.at-Interview spricht der bekennende Trekkie über die politischen Hintergründe der TV-Serie und verschweigt auch nicht ihre Schattenseiten.

science.ORF.at: Wie hat „Star Trek“-Schöpfer Gene Roddenberry seine Idee bei den NBC-Produzenten verkauft?

Stefan Rabitsch: Er hat auf zwei Vorbilder verwiesen. Zum einen auf „Wagon Train“, eine erfolgreiche Westernserie aus den 50er Jahren. Roddenberry hat Star Trek als eine Art „Weltraumwestern“ verkauft: Statt Pferden gibt es Raumschiffe, statt Revolvern Laserkanonen. Western haben damals im TV dominiert, sie haben in den frühen 60er Jahren aber auch schon damit begonnen, sozialkritische Themen aufzugreifen: Rassenkonflikte, Genderrollen oder Jugendkriminalität. Letztlich hat Gene Roddenberry aber keinen Weltraumwestern geliefert.

Sondern?

Stefan Rabitsch bei einer Vorlesung an der Uni Klagenfurt

Stefan Rabitsch

Stefan Rabitsch ist Postdoc Researcher für Amerikanische Kulturwissenschaften/-geschichte an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt (AAU). Als „Academic Trekkie“ lehrt er u. a. auch mittels Science-Fiction.

Eher Seefahrtsabenteuer im Weltall – das zweite Vorbild für „Star Trek“ waren die Geschichten von Horatio Hornblower. Die Romanfigur stammt vom Autor C. S. Forester und erzählt die Abenteuer eines Offiziers der Royal Navy zur großen Zeit der Segelschifffahrt, umrahmt von den Napoleonischen Kriegen. Seemannsromane waren in den USA damals sehr populär.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sich als neue Leitnation des Westens definiert und die Rolle des britischen Imperiums aufgenommen. Dazu gehört auch das Bild einer entdeckenden Seefahrernation. Die „Star Trek“-Welt ist eine nautische Welt: Die Raumschiffe gleiten durch das Weltall wie die Segelschiffe auf den Meeren. Kirk ist vergleichbar mit Admiral Nelson oder Captain Cook, die Reisen der Enterprise passen zu den Entdeckungsfahrten auf See im 18. Jahrhundert. In allen Fällen geht es um Expansion, den Vorstoß in unentdeckte Gebiete.

Welche Art Expansion betreibt die Welt von „Raumschiff Enterprise“: eine kolonialistische, imperialistische?

Es ist eine Art Imperialismus, aber ein gutmütiger. So wird er zumindest immer dargestellt. Die Vorlage sind die idealisierten Entdeckungsreisen zu See, und die sind kompatibel mit dem Expansion-Narrativ der USA in den Westen. Im Endeffekt gibt uns „Star Trek“ eine Neo-Aufklärung im Weltraum, eine idealisierte Vorstellung von Entdeckungsfahrten eines James Cook oder eines Alexander Humboldt. Das kann man schon im Vorspann von „Raumschiff Enterprise“ hören, wenn es heißt, dass „das Schiff fünf Jahre unterwegs ist, um neue Zivilisationen kennenzulernen“.

Szene aus dem Kinofilm von 2013 "Star Trek: Into Darkness" Kirk und Spock

Sevenone/Paramount/Zade Rosenthal

Szene aus dem Reboot-Film von 2013 „Star Trek: Into Darkness“ mit Spock und Kirk

Ist diese Vorwärtsbewegung rein progressiv?

Es gibt auch eine Schattenseite: Die „gutmütige Expansion“ ist auch eine latente Zivilisierungsmission im Weltraum. Es gibt zwar die „oberste Direktive“, wonach sich die Sternenflotte nicht in die Entwicklung fremder Zivilisationen einmischen darf.

Aber sie funktioniert erzählerisch nur dann, wenn sie verletzt wird – egal ob absichtlich oder versehentlich. Oft mischt sich ein Gegner der Föderation oder ein fehlgeleiteter Forscher in andere „unterentwickelte“ Zivilisationen ein. Und dann müssen Captain Kirk und Co. den Schaden wieder reparieren – das ist natürlich anthropo- oder anglozentrisch.

Ein Aspekt wird auf der Enterprise fast nie angesprochen: die Wirtschaft. Ökonomische Probleme scheinen überwunden zu sein …

„Star Trek“ gibt uns eine Zukunft, in der es kein Geld gibt. Wie das erreicht wurde, ist unklar. So funktionieren aber Utopien: Kerndimensionen bleiben vage. „Star Trek“ spielt mit dem Wunsch nach einer postkapitalistischen Marktgesellschaft. Es vermischen sich idealisierte Werte des Kommunismus – was für die Zeit sehr überraschend ist, wir befinden uns mitten im Kalten Krieg – und einer Postknappheitswirtschaft. Wie die Knappheit genau überwunden werden konnte, bleibt unklar. Die Erschließung von Ressourcen im Weltraum wird dabei eine Rolle gespielt haben, und daraus kann man auf latente Kolonialprozesse schließen. Aber da hält sich „Star Trek“ sehr bedeckt.

Sehr eindeutig ist hingegen der Zukunftsoptimismus der Serie, bei dem die Wissenschaft eine große Rolle spielt.

Die Grundhaltung von „Star Trek“ ist zweischichtig. Zum einen wird propagiert, Antworten auf Fragen zu finden - wissenschaftliche, kulturelle etc. Wir sollen vom Kosmos lernen, und zwar mit wissenschaftlichen Mitteln. Zum anderen, und das ist für mich als Fan noch viel zentraler: „Star Trek“ sagt „Antworten auf Fragen finden ist okay, aber nur ein Startpunkt. Neue Fragen finden, ist noch viel wichtiger.“ Darin liegt der Optimismus für eine Zukunft, in der wir wissenschaftliche Werkzeuge einsetzen, um uns selbst und die Menschheit zu verbessern.

Die Brücke der Enterprise, nachgebaut auf einer Fanconvention

Associated Press

Die Brücke der Enterprise, nachgebaut auf einer Fanconvention

Stammt dieser quasi naive Glaube an die Vernunft ausschließlich aus dem 19. Jahrhundert oder ist er irgendwie dialektisch?

Auch hier fährt „Star Trek“ zweischienig. Der Glaube an die Wissenschaft als Löserin von technischen, wirtschaftlichen und kulturellen Problemen kommt sicher aus dem 19. Jahrhundert. Aber nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, wo man gesehen hat, was Wissenschaft alles zerstören kann, kann dieser Glaube nicht mehr naiv sein.

Ich denke, „Star Trek“ ist auch als Reaktion auf die atomare Bedrohung im Kalten Krieg zu sehen. Technik ist dort zwar etwas Positives, aber sie kann nicht alles lösen. Sie ist kein Selbstzweck und darf nie den Menschen ersetzen. Wenn Maschinen übermächtig werden, dann müssen die Menschen an Bord eingreifen – allen voran der Vorzeigehumanist Dr. McCoy - und für einen anthropozentrischen Ausgleich sorgen.

Zu einer Zeit, als es das Wort Diversität im deutschen Sprachraum noch nicht gab, war die ethnische Vielfalt auf der Brücke der Enterprise sehr hoch: Sulu, der asiatische Steuermann, Chekov, der russische Navigator, Uhura, die farbige Kommunikationsoffizierin …

Literatur

Rabitsch, S. 2017. Star Trek’s Secret British History: Setting sail in space with Horatio Hornblower, RN. McFarland;

Brown J., Elmenreich W., Gabriel, M., Rabitsch S. (eds.) 2017. Set Phasers to „Teach!“: Star Trek at University. Springer;

Rabitsch, S. 2016. „‚And yet, everything we do is usually based on the English‘: Sailing the mare incognitum of Star Trek’s transatlantic double consciousness with Horatio Hornblower.“ Science Fiction Film & Television Vol 9.2.

Dazu kommt auch noch der außerirdische andere: der halb Mensch/Vulkanier Spock. „Star Trek“ war den TV-Konkurrenten seiner Zeit stark voraus. Es wird eine Menschheit gezeigt, die sich zusammengefunden hat. Die Nationalstaaten und ihre problematischen Geschichten scheinen in der Vergangenheit zu liegen. Die Symbolwirkung von der angedeuteten ethnischen Vielfalt auf der Enterprise war groß.

Nichelle Nichols, die Schauspielerin von Uhura, hat immer wieder betont, dass sie kurz davor war, die Serie zu verlassen. Dann bekam sie einen Anruf von Martin Luther King, der sie überredet hat nicht aufzuhören. Denn Schwarze konnten sich bis dahin nie so im Fernsehen oder im Film sehen. Obwohl Uhura vielleicht nur eine glorifizierte, interstellare Telefonistin war, hat sie sich symbolisch stark ausgewirkt. Die erste farbige US-Astronautin etwa, Mae Jemison, hat immer wieder gesagt, dass Uhura sie ermutigt hat, Wissenschaftlerin zu werden und in den Weltraum zu reisen.

Die Crew des Raumschiff Enterprise in Originalbesetzung, Archivfoto aus dem Jahr 1992

APA/Paramount/Paramount

Die Crew des Raumschiffs Enterprise in Originalbesetzung, Archivfoto aus dem Jahr 1992

Wie wichtig war die Serie vor dem Hintergrund der Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren?

Sehr wichtig. Roddenberrys Absicht war es, aus der Gegenwart zu extrapolieren. Für ihn war klar: Egal welche Hautfarbe, in Zukunft werden wir kooperieren, das entspringt dem Zeitgeist der 60er Jahre. Roddenberry war aber definitiv kein Hippie. Er hat den gesellschaftlichen Status quo zwar kritisiert, wollte ihn aber nicht radikal verändern. Es gibt auch eine Folge, in der Hippies nicht gut wegkommen.

2017 wird „Star Trek Discovery“ auf die Bildschirme kommen, die erste neue Serie seit zwölf Jahren: Was erwarten und was erhoffen Sie sich davon?

Man weiß noch nicht sehr viel: Zeitlich spielt die Serie etwas vor Kirk. Es wird eine weibliche Hauptrolle geben, die aber nicht der Captain ist. Es wird mehr Diversität geben, eine LGBT-Figur, und die Folgen werden mehr ineinander verschränkt sein. Wir leben heute in einer Welt, die geprägt ist von Terror, Wirtschaftsangst und politischem Rechtsruck. Daher wünsche ich mir von der Serie eine Rückkehr zum Zukunftsoptimismus von „Raumschiff Enterprise“ – und nicht den Pessimismus und die Wissensfurcht, durch die sich die jüngsten „Star Trek“-Kinofilme auszeichnen. In seiner ursprünglichen Form war „Star Trek“ eine der wenigen positiven Zukunftsszenarien, die zeigten, dass wir Probleme lösen können. Ich glaube, die Zeit wäre reif für wieder etwas Optimismus.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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