Warum die Nase „Nase“ heißt

Dass die Nase „Nase“ oder der Baum „Baum“ heißt, ist offenbar weniger zufällig als vermutet - das ergab eine Untersuchung von fast zwei Drittel aller ca. 6.000 Weltsprachen. Verschiedene Sprachen verwenden demnach ähnliche Laute für ähnliche Dinge.

Rund um die Entstehung und die Entwicklung der Sprache gibt es noch viele ungelöste Fragen, eine davon: Wie kommen Dinge, Handlungen, Konzepte, etc. eigentlich zu ihrer Bezeichnung? Weitgehend Zufall, so die einhellige Meinung der Sprachtheoretiker des 20. Jahrhunderts.

Als arbiträr - also willkürlich - bezeichnete der berühmte Schweizer Strukturalist Ferdinand de Saussure die Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichneten. Abgesehen von wenigen lautmalerischen Worten gibt es demnach keinen Grund dafür, dass man z.B. einen Baum als „Baum“ bezeichnet, er könnte genauso gut „Runf“ oder „Zemp“ heißen - alles Konvention. Das war der vorläufige Schlusspunkt einer uralten schon bei Platon nachzulesenden Debatte um Konventionen und Naturalismus.

Systematische Analyse

Saussures Überlegungen zur Natur der Zeichen waren - mangels geeigneter empirischer Methoden - aus der reinen Theorie geboren. Heute, genau hundert Jahre nach der posthumen Veröffentlichung von de Saussures Hauptwerk „Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft“ (Originaltitel: „Cours de linguistique générale“), haben die Sprachforscher andere Werkzeuge, um die Beschaffenheit von Sprachen im Allgemeinen zu untersuchen.

Mit Hilfe der modernen Datenverarbeitung können sie große Datenmengen systematisch durchforsten. Genau das haben die Forscher um Damian E. Blasi von der Universität Zürich und vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in ihrer aktuellen Arbeit gemacht.

Aus 62 Prozent aller mehr als 6.000 weltweit gesprochenen Sprachen verglichen sie 100 Wörter des Grundwortschatzes: Pronomen, Eigenschaftswörter (z.B. klein), Verben (z.B. gehen) sowie Hauptwörter, die Körperteile (z.B. Nase) und Naturphänomene (z.B. Stern) beschreiben. Die Wörter der verschiedenen Sprachen ähneln sich der Analyse zufolge stärker als vermutet.

Menschliches Klangmuster

So enthält etwa das Wort für Nase in vielen Sprachen ein „n“ oder ein „ou“ (z.B. englisch „nose“), das Wort für Zunge sehr häufig ein „l“ (z.B. französisch „langue“), „Knochen“ wie im Deutschen ein „k“, „Blatt“ ein „b“ und „Sand“ ein „s“. In „Rot“ und „rund“ findet sich auch in vielen anderen Sprachen ein „r“. Der Forscher stellten zudem fest, dass sich Wörter auch darin ähneln können, welche Laute sie selten oder nie enthalten. Das ist etwa bei Pronomen wie „ich“ oder „du“ der Fall, ersteres beinhaltet unter anderem kaum ein „u“, ein „p“ und ein „t“, zweiteres kaum ein „d“, ein „s“ und ein „r“ (in diesem Fall bestätigt die deutsche Ausnahme die Regel).

Die Sprachen stammen von allen Kontinenten, also aus Gegenden, die in der ferneren Vergangenheit keinen Kontakt untereinander hatten. Eine gegenseitige Beeinflussung oder einen Import von Wörtern schließen die Forscher daher weitgehend aus, da es sich bei den ausgewählten Begriffen ausschließlich um den Grundwortschatz handelt. Die Wörter sind also naturgemäß alt. Insgesamt wurden bei der Untersuchung 85 Prozent aller Sprachfamilien abgedeckt. „Offenbar führt etwas im Menschsein selbst zu diesen klanglichen Mustern“, so Koautor Morten H. Christianson in einer Aussendung. „Was es ist, wissen wir nicht.“

Ursachen der Ähnlichkeiten

Dennoch haben die Forscher Hypothesen, was hinter der musterhaften Wortbildung steckt. „Vermutlich gibt es verschiedene Ursachen für den Trend“, so Erstautor Blasi gegenüber science.ORF.at. „Bei Pronomen z.B. könnten die Muster mit der häufigen Verwendung zu tun haben.“ Manches lasse sich einfach leichter aussprechen.

Laut Blasi spielt in anderen Fällen wahrscheinlich ein gewisser Symbolismus eine Rolle: "Einige Bezeichnungen für Körperteile tragen den artikulatorischen Ort ihrer Entstehung gewissermaßen in sich, das ’l’ in ‚langue‘ oder das ’n’ in „Nase’.“ D.h., bei der Aussprache von „l“ ist die Zunge aktiv, beim „n“ strömt Luft durch die Nase.

Manchmal könnte es aber auch sein, dass verschiedene Wahrnehmungen miteinander gekoppelt sind, meint Blasi, Stichwort Synästhesie: „Irgendetwas an der Farbe ‚Rot‘ oder an ‚runden‘ Dingen ist vielleicht mit dem Klang von ’r’ verbunden.“ Das Rollen des „r"’s ist also irgendwie rund oder rot.

Koautor Christiansen mutmaßt, dass es auch etwas mit dem Spracherwerb von Kindern zu tun haben könnte, wie Worte klingen - es könnte den Lernprozess erleichtern.

Die Daten machen jedenfalls deutlich, dass hinter der Benennung von Dingen nicht nur Zufall steckt. Offenbar hat der Prozess mehr mit der Welt und wie der Mensch sie wahrnimmt zu tun, als Theoretiker lange glauben wollten.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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