Ötzis Hinweise auf die Besiedelung Europas

Vor 25 Jahren stolpern in den Ötztaler Alpen zwei Bergsteiger über eine Leiche. Die Gletschermumie wird als Ötzi berühmt. Neue molekularbiologische Methoden lassen von Ötzis Mageninhalt auf die Besiedelung Europas schließen.

Ein Interview mit Albert Zink, Mumienforscher an der Europäischen Akademie Bozen. im Vorfeld des „3rd Bolzano Mummy Congress - Ötzi: 25 years of research”, wo ab Montag neue Erkenntnisse über Ötzi präsentiert werden.

science.ORF.at: Keine andere Mumie ist besser erhalten und besser erforscht als Ötzi. Wie war sein körperlicher Zustand vor seinem Tod vor rund 5.200 Jahren?

Albert Zink: Als Ötzi am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen durch einen Pfeilschuss ermordet wird, ist er Mitte 40, damit vergleichsweise alt, aber noch relativ fit. Geplagt dürften ihn Gefäßverkalkungen und Magenprobleme haben. Er hatte wohl auch ein erhöhtes Herzinfarktrisiko.

Anders als beispielsweise bei Mumien aus dem Alten Ägypten, die ebenfalls aus dieser Zeit stammen, sind Ötzis Organe erhalten geblieben. Das gilt auch für seinen Magen. Eine Fundgrube?

Wir haben mittels neuer molekularbiologischer Untersuchungsmethoden in Ötzis Magen das Bakterium „Helicobacter pylori“ gefunden. Die Hälfte aller Menschen auf der Welt hat dieses Bakterium. Bei zehn Prozent macht es dann auch Probleme. Krankheiten wie Magengeschwüre, Gastritis bis hin zum Krebs können die Folge sein. Und man weiß, dass es in verschiedenen Gegenden der Welt unterschiedliche Stämme gibt, die regional sehr spezifisch sind. Es wäre zu erwarten gewesen, dass der Ötzi einen europäischen Stamm trug – aber jetzt hat sich herausgestellt, dass er einen asiatischen Stamm hat.“

Nachbildung von Ötzi

APA/ROBERT PARIGGER

Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?

Das zeigt, dass die Vermischung, die zum heutigen modernen Helicobacter in Europa geführt hat, vermutlich erst nach der Zeit vom Ötzi stattgefunden hat. Und nicht schon mit den ersten frühen Europäern, die ja bereits vor etwa 8.000 bis 10.000 Jahren nach Europa eingewandert sind. Das heißt: Es muss später noch weitere Einwanderungswellen gegeben haben. Und das heißt, die Besiedelung Europas war nicht so einfach wie bisher gedacht.

Weiß man, warum sich Ötzi zu seinem Todeszeitpunkt auf mehr als 3.000 Meter Seehöhe aufgehalten hat?

Ö1 Sendungshinweis

Über das Thema berichten auch die Ö1-Journale, 17.9., 12.00 Uhr.

Das ist nach wie vor unklar. Auf der Jagd dürfte er nicht gewesen sein. Weil eben sein Pfeil und sein Bogen noch nicht fertig waren. Er war gerade dabei, sich einen neuen Bogen zu schnitzen. Da spricht schon sehr dafür, dass er vielleicht versucht hat, sich in die Berge zurückzuziehen, sich vielleicht vor etwas zu verstecken. Was offensichtlich aber dann doch nicht geglückt ist.

In Ihrem neuen Buch „Ötzi. 100 Seiten“ widmen Sie ein Kapitel den Entwicklungen in der Ötzi-Forschung. Wo liegen derzeit die Schwerpunkte?

Aktuell unternehmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weitere radiologische Forschungen und versuchen herauszufinden, was der Beruf von Ötzi gewesen sein könnte. Unser Institut für Mumienforschung in Bozen arbeitet neuerdings mit Kriminologen aus München zusammen. Es soll damit der Frage nachgegangen werden, welche Hintergründe vielleicht zum Tod des Ötzi geführt haben könnten. War das eher ein Raubmord? Oder war das ein Raub aufgrund eines Konfliktes? Da erhoffen wir uns neue Erkenntnisse dazu.

Tanja Malle, Ö1 Wissenschaft

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