„Out of Africa“: Exodus auf Raten

Afrika gilt als Wiege der Menschheit, von hier aus eroberte die Gattung Homo die ganze Welt - auf verschlungenen Wegen, wie Analysen zeigen: Das wahre Ausmaß der genetischen Vielfalt der Menschheit wird erst jetzt sichtbar.

Einmal, zweimal - oder noch öfter? Das ist die große Frage der Anthropologie. Wie oft der Mensch Afrika in Urzeiten verließ, ist nach wie vor ungeklärt. Die zwei wichtigsten Varianten der „Out-of-Africa“-Hypothese lesen sich folgendermaßen - die Vorgeschichte: Vor etwa 1,9 Millionen Jahren gelangte erstmals Homo erectus nach Asien und Europa. Vermutlich entwickelte sich aus ihm in Europa der Neandertaler, in Afrika der Homo sapiens. Laut Modell Nummer eins verließ dann der moderne Mensch vor 60.000 bis 70.000 Jahren den afrikanischen Kontinent und zog über die Erde.

Die anatomisch modernen Menschen vermischten sich zum Teil mit den einheimischen Menschenarten, die sie auf den Erdteilen antrafen, in Europa etwa mit dem Neandertaler. Letztlich aber starben die anderen Menschenarten innerhalb kurzer Zeit aus, so die Hypothese. Alle heute lebenden Nicht-Afrikaner sind demnach die Nachfahren einer einzigen Auswanderer-Population.

Laut Modell Nummer zwei verließen erste anatomisch moderne Menschen schon vor gut 120.000 Jahren Afrika und besiedelten Südostasien und den australischen Raum. Eurasien wurde demnach anschließend von einer zweiten Auswanderer-Gruppe über die Levante besiedelt. Welche der beiden Hypothesen die richtige ist, beantworten die nun im Fachblatt „Nature“ vorgestellten Studien nicht, aber sie liefern neue Erkenntnisse zu einzelnen Details der menschlichen Wanderungen.

Frühe Aufspaltung

Wissenschaftler um David Reich von der Harvard Medical School (Boston/ US-Staat Massachusetts) sequenzierten das Genom von 300 Menschen aus 142 Populationen, vor allem solche, die in vorhergehenden Untersuchungen nicht ausreichend berücksichtigt worden waren.

Reich und seine Mitarbeiter vermuten in ihrer Studie, dass sich die Gruppe, auf die letztlich alle heute lebenden Menschen zurückzuführen sind, bereits vor 200.000 Jahren in Afrika aufzuspalten begann. Ein Teil verließ den afrikanischen Kontinent und spaltete sich dann in eine ost- und eine westeurasische Gruppe. Die osteurasischen besiedelten später Ostasien und den australischen Raum. Heutige Menschen in Australien und Papua Neuguinea wären dieser Theorie zufolge Nachfahren dieser Gruppe.

Forscher im Gespräch mit Aborigines, auf dem Lehmboden im Freien sitzend

Preben Hjort, Mayday Film

Eske Willerslev und einige Teilnehmer der Studie in der Kalgoorlie-Region, Südwestaustralien

Auch die Forscher um Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen sind nach ihrer Analyse der Ansicht, dass es nur eine Auswanderung von Homo sapiens aus Afrika gegeben habe. Sie hatten das Erbgut von insgesamt 83 Aborigines und 25 Papua analysiert. Ihrer Studie zufolge trennte sich diese Gruppe von Europäern und Asiaten vor etwa 58.000 Jahren.

Vor etwa 37.000 Jahren trennten sich dann die Entwicklungslinien der Aborigines und der Papua voneinander - lange vor der weiten räumlichen Trennung beider Populationen vor etwa 10.000 Jahren. Innerhalb des australischen Kontinents bildeten sich Subgruppen heraus, vermutlich, weil die entstehenden Wüsten natürliche Barrieren ausbildeten.

„Erstaunliche Vielfalt“

„Die genetische Vielfalt unter den australischen Aborigines ist erstaunlich. Vielleicht weil der Kontinent schon so lange besiedelt ist, finden wir, dass sich Gruppen aus den südwestlichen Wüstengebieten Australiens genetisch stärker von Gruppen des nordöstlichen Australiens unterscheiden als zum Beispiel Amerikas Ureinwohner und Menschen aus Sibirien - und das auf einem Kontinent!“, sagt Anna-Sapfo Malaspinas, ebenfalls von der Universität Kopenhagen.

Im Erbgut fand das Team zudem Spuren von ausgestorbenen Menschengruppen, etwa den Denisova-Menschen sowie einer bislang unbekannten Gruppe.

Mehrere Wellen möglich

Obwohl diese beiden Untersuchungen Belege für eine einzige Auswanderung von Homo sapiens aus Afrika finden, schließen die Forscher auch mehrere Auswanderungswellen aus Afrika nicht völlig aus. Hinweise darauf fand nun ein Team um Luca Pagani vom Estonian Biocentre in Tartu (Estland). Ihre Analyse legt nahe: Die Vorfahren der Bewohner von Papua Neuguinea dürften Afrika früher verlassen haben als andere Eurasier (siehe Grafik).

Grafik: Wanderungsbewegungen von Urmenschen und die Gen-Verwandtschaft menschlicher Populationen

Dr Mait Metspalu at the Estonian Biocentre, Tartu, Estonia

Nein, das ist kein U-Bahn-Plan: Die Wege der Urmenschen waren verschlungen. Noch sind viele Fragen offen. „xOoA“ zeigt Genspuren der frühesten Wanderung aus Afrika an, „OoA“ eine spätere.

Die Modelle seien nicht so schwer miteinander zu vereinen, als es zunächst den Anschein hat, kommentieren Serena Tucci und Joshua Akey von der University of Washington die Artikel-Serie in „Nature“. Mehrere Auswanderungswellen seien denkbar, solange die Menschen keine oder nur wenige Spuren im Erbgut der heutigen Nicht-Afrikaner hinterlassen haben. Dass Populationen mit Ausnahme ihrer Knochen scheinbar spurlos von der Erde verschwinden, sei im Laufe der menschlichen Geschichte mehrfach vorgekommen.

Klima trieb Migration an

Trotz der detaillierten Ergebnisse der Studien sei es grundsätzlich von entscheidender Bedeutung, die Grenzen der Genetik nicht zu vergessen, schreiben Tucci und Akey. Daten aus der Archäologie, Anthropologie oder Sprachwissenschaft müssten hinzugezogen werden, um ein vollständiges Bild davon zu zeichnen, wie die frühen Menschen die Welt erkundet und erobert haben.

Axel Timmermann und Tobias Friedrich von der University of Hawaii zeigen in einer weiteren Studie: Womöglich waren es Klimaveränderungen, die den Menschen aus Afrika getrieben haben. Demnach verursachten Veränderungen der Erdumlaufbahn in den vergangenen 125.000 Jahren beträchtliche Klimaschwankungen.

science.ORF.at/dpa

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