Aktiv im Alter dank neuer Technologien?

Moderne Technik soll älteren Menschen den Alltag erleichtern. In der Entwicklung nimmt man aber oft zu wenig Rücksicht auf deren Bedürfnisse, kritisieren Experten. Was beim Älterwerden wirklich hilft, wird derzeit in österreichischen Haushalten getestet.

Im Alter kann plötzlich schwierig werden, was in jungen Jahren noch problemlos funktionierte. Wie zum Beispiel der gewohnte Gang zur Toilette - entweder ist sie zu hoch oder im falschen Winkel angebracht. Mit diesem Problem beschäftigen sich Forscher wie Paul Panek von der Technischen Uni Wien. Er und seine Kollegen wollen ein WC entwickeln, das man ohne Knopf, dafür mit gesprochenen Befehlen verstellen kann und das zudem erkennt, wenn jemand stürzt.

Viele Techniker machen sich Gedanken, wie sie ältere und bewegungseingeschränkte Menschen mit modernster Technologie unterstützen können, länger ohne fremde Hilfe auszukommen. Allerdings decken sich ihre Vorstellungen oft nicht mit den Bedürfnissen der älteren Anwender, weiß Panek vom Zentrum für angewandte assistierende Technologien: „Technisch machbar ist vieles. Die Frage ist aber, was aus Sicht der Anwender im Alltag tatsächlich nützlich ist.“

Viel tüfteln, zu wenig anwenden

Weltweit würden Forscher zum Teil immer wieder zu lange an der Entwicklung arbeiten, um möglichst viele technische Details unterzubringen, kritisiert Panek. Für die Erprobung mit Älteren und für die Frage, ob diese so viele Details überhaupt verwenden wollen, bleibt dann nur wenig Zeit. „Hinzu kommt, dass die gesamte Projektdauer oft zu knapp bemessen ist.“ Im Ergebnis gibt es viele Prototypen, die es nicht in die Haushalte schaffen.

Aus diesem Grund bezieht der Forscher nun die Anregungen und Wünsche von Betroffenen laufend in die Entwicklung der Toilette mit ein. Demnach soll beispielsweise die persönliche Sitzhöhe automatisch gespeichert werden. „Auf der anderen Seite versuchen wir, mit Betreuungspersonen und Pflegeexperten zusammenzuarbeiten, um tatsächlich eine brauchbare Technologie zu entwickeln.“

Buchhinweis

Was es heißt, aktiv älter zu werden und welche Rolle moderne AAL-Technologien dabei einnehmen sollen, dazu hat Ulrike Bechtold gemeinsam mit Uli Waibel und Mahshid Sotoudeh das „DiaLogbuch AAL. Dialoge zu Active and Assisted Living“ herausgebracht.

Testhaushalte in Österreich

Eine solche Vorgangsweise unterstützt auch die Technikfolgenforscherin und Expertin für aktives Älterwerden Ulrike Bechtold von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: „In der Vergangenheit wurde viel Unbrauchbares entwickelt, weil man Ältere nur in Stereotype kategorisiert hat und nicht auf individuelle Bedürfnisse eingegangen ist. Nun sieht man immer öfter kooperative Projekte, es war aber ein Lernprozess.“

Welche Technologien im Alltag für ältere Menschen brauchbar sind, wird österreichweit in Testregionen untersucht - im Burgenland wurden bereits 2012 Wohnungen mit Sturzsensoren, einer Herdüberwachung und Tablets mit einer einfachen Benutzeroberfläche ausgestattet, die an Arzttermine bzw. Familiengeburtstage erinnern und mit denen man seinen Blutdruck protokollieren kann.

„Viel Nachschulung notwendig“

Nach drei Jahren und vier Monaten war das Projekt zu Ende. Wie der Abschlussbericht zeigt, haben die insgesamt 50 Testbewohner die Technologie sehr unterschiedlich eingesetzt und wahrgenommen: Die Erinnerung an Termine wurde von vielen beispielsweise kaum genutzt.

„Die meisten begründeten es damit, dass sie an Geburtstage etc. selber denken“, erläutert der Projektverantwortliche Johannes Kropf vom Austrian Institute of Technology. Ihren Blutdruck haben hingegen viele Bewohner öfter als für sie üblich gemessen und ihre Gesundheit über die täglich gespeicherten Daten am Tablet verfolgt. Das wirkte beruhigend - zu sehen, dass der Blutdruck einmal schwankt, in Summe aber gleich bleibt, heißt es im Projektbericht.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 26.9.2016 um 13:55.

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Durch die Sturzsensoren wiederum fühlten sich manche Bewohner sicherer, andere überwacht. „Teilweise konnte man diesen noch einmal genau erklären, dass die Sensoren lediglich Bewegungen abspeichern und keine Bilder aufzeichnen bzw. welchen Sinn sie haben. Manche ließen sie daraufhin gerne installieren, andere lehnten sie dezidiert ab“, so Kropf.

Überrascht hat den Forscher vor allem, wie schwierig es war, den älteren und zum Teil wenig technikaffinen Teilnehmern beizubringen, wie diverse Anwendungen am Tablet und Co. funktionierten: "Wir wussten, dass wir immer wieder mal kleinere Nachschulungen machen müssen. Dass man aber fast wöchentlich hätte nachhaken müssen, damit haben wir nicht gerechnet“, sagt Kropf.

„Technologie muss sich Alltag anpassen“

Um den großen Erklärungsbedarf der Teilnehmer zu stillen, sprangen auch Pflegerinnen und Betreuer immer wieder ein, was zumindest aus Sicht der Bewohner die Beziehung zum Pflegepersonal positiv stärkte. Auch bei neueren Projekten wie in Vorarlberg und Tirol, wo seit Anfang des Jahres 74 Haushalte mit unterstützenden Technologien ausgestattet wurden, zeichnen sich ähnliche Schwierigkeiten beim Erlernen ab.

Active and Assisted Living

Bisher benutzten Experten den Ausdruck „Ambient Assisted Living“ - sprich umgebungsgestütztes Leben, um über Technologien zu sprechen, die ein Leben ohne fremde Hilfe länger ermöglichen sollen. Nun prägt die Europäische Union mit „Active and Assisted Living“ einen neuen Begriff, erklärt Ulrike Bechtold. Demnach sollen Technologien dabei helfen, länger fit zu bleiben und die Lebensqualität zu steigern. "Dieses Konzept setzt gewissermaßen schon vor dem Ältersein an und soll schließlich ein aktives Altern ermöglichen.“

Hinzu kommt, dass eingesetzte automatische Lichtsteuerungen, die in der Nacht oder bei Betreten der Wohnung leuchten, sowie automatische Heizungs- und Jalousiensteuerungen stetig an die Bedürfnisse angepasst werden müssen, erklärt die Projektmitarbeiterin Kristina Förster von der Uni Innsbruck: „Es kam beispielsweise vor, dass Lichtszenarien zur Tagesstrukturierung bereits um 17 Uhr leuchteten - was im Sommer nicht den Bedürfnissen entspricht. Die Technologien wurden dann den individuellen Bedürfnissen angepasst. Dazu wurden statt einer Zeitschaltung Helligkeitssensoren in Betrieb genommen.“

Für die Technikfolgenforscherin Bechtold ist das ein wichtiger Punkt, der zeigt, in welche Richtung sich Technologie entwickeln müsse: „Automatisierte Geräte und Anwendungen sind nur sinnvoll, wenn sie sich an ein individuelles Leben anpassen können – dazu gehört auch, dass automatisierte Jalousien so funktionieren, dass man an einem Tag um sieben Uhr aufsteht und am nächsten um neun.“

Pfleger brauchen Medienkompetenz

Die Ergebnisse aus den Testregionen sind für Bechtold darüber hinaus ein Vorbote, wie sich der Pflegeberuf in Zukunft verändern könnte. Sie geht davon aus, dass technische Betreuung einen wichtigen Teil des Pflegealltags ausmachen wird, wodurch sich auch die Ausbildung ändern muss.

„Im Idealfall entwickeln sich die unterstützenden Technologien ja dahin, dass sie kleine Hilfsarbeiten ganz übernehmen und in der Pflege dann mehr Zeit für persönlichen Austausch oder spazieren gehen bleibt“, meint Bechtold.

Nach Salzburg und Steiermark sollen nun auch in Wien Haushalte mit Technologien ausgestattet werden - vermutlich erst 2017, erklärt Panek. „Die sprachgesteuerte Toilette wird aber nicht dabei sein.“

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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