„Marokko war keine Option“

Viele Forscher planen im Lauf ihrer Karriere in ihre Heimat zurückzukehren. Für den Pflanzengenetiker Youssef Belkhadir war das bis dato keine Option: Denn in Marokko stecke die Grundlagenforschung noch in den Kinderschuhen.

Er ist in Marokko aufgewachsen, hat in Frankreich studiert, in den USA geforscht und leitet jetzt eine Forschungsgruppe am Gregor-Mendel-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der Pflanzengenetiker Youssef Belkhadir entwickelte seine Neugierde für Samen, Blätter und Blüten in seiner Kindheit, in der marokkanischen Küstenstadt Casablanca. Im Gespräch mit science.ORF.at erzählt er, warum eine wissenschaftliche Karriere in Marokko nicht möglich gewesen wäre - und warum er am Gregor-Mendel-Institut eine wissenschaftliche Heimat gefunden hat.

Ö1 Sendungshinweis

Programmschwerpunkt „nebenan“: Bis zum 2. Oktober widmen sich mehr als 60 Sendungen dem Thema „Marokko“. Über den marokkanischen Wissenschaftler Youssef Belkhadir berichtet auch „Wissen Aktuell“, am 27. 09., 13.55 Uhr.

science.ORF.at: Sie sind in der Küstenstadt Casablanca aufgewachsen und dort in die Schulge gegangen. Was hat ihr Interesse für Pflanzen geweckt?

Youssef Belkhadir: Als Kind habe ich viel Zeit in landwirtschaftlichen Betrieben verbracht, auf Feldern und in Gärten. Vor allem Getreide haben mich fasziniert: wie sie es schaffen zu wachsen, um Nährstoffe und Licht zu konkurrieren und gleichzeitig als Gemeinschaft zu existieren. Und dieses Interesse für Pflanzen ist mit jedem Jahr größer geworden.

Sie haben Marokko mit Beginn Ihres Studiums für einige Jahre verlassen. Was hat sich seitdem verändert?

Das Land hat sich in den vergangenen Jahren sehr weiterentwickelt. Der Arabische Frühlung hat auch hier gewirkt. Marokko hat sich geöffnet, es ist moderner geworden. Aber es gibt immer noch soziale Probleme, die eine Lösung brauchen.

Haben Sie nie daran gedacht, nach Marokko zurückzugehen?

Ich hatte dort ein Angebot, aber Marokko war keine Option für mich als Wissenschaftler. Ich besuche das Land mindestens einmal im Jahr. Aber Wissenschaf existiert dort beinahe gar nicht. Grundlagenforschung ist immer mit Risiken verbunden. Es gibt keine Garantie für wissenschaftliche und finanzielle Erfolge. Und ärmere Länder können das finanzielle Risiko in Forschung zu investieren nicht eingehen. Als Pflanzengenetiker brauche ich allerdings eine gut ausgebaute Forschungsinfrastruktur und die habe ich hier am Gregor-Mendel-Institut gefunden.

Zur Person

Youssef Belkhadir wurde in Marokko geboren, studierte in Paris und North Carolina Biochemie und Genetik. Danach war er fünf Jahre am Salk Institute for Biological Studies in La Jolla bei San Diego beschäftigt. Seit Juni 2014 leitet er eine Forschergruppe am Gregor-Mendel-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Ihre Gruppe hat dort gemeinsam mit Kollegen der Vienna Biocenter Core Facilities eine neue Mikroskopie-Technologie entwickelt. Welche Vorteile bringt diese neue Technik?

Das „Fluorescence emission Brillouin scattering imaging“ (FBi) verbindet Fluoreszenz- und Lichtstreuungsmikroskopie. Wir können damit die Elastizität von Zellwänden bzw. extrazellulärer Matrix untersuchen und zwar von lebenden Pflanzen, das ist ein entscheidender Vorteil.

Die entsprechende Studie ist vor kurzem in der Fachzeitschrift „Science Signaling“ erschienen. Was konnten Sie darin zeigen?

Die planzliche Zellaußenwand kontrolliert, ob und wie eine Plfanze wächst. Sie muss also elastisch sein, damit sich die Zellen verlängern und wachsen können. Bisher wussten wir zwar, dass Licht wichtig für pflanzliches Wachstum ist. Wir wussten aber nicht genau warum. Nun konnten wir zeigen, dass das Licht dafür sorgt, dass die extrazelluläre Matrix ihre Struktur behält, sich die Zellen aber gleichzeitig verlängern und so der Wachstumsprozess möglich wird.

Infos

  • Im Wintersemester 2015 waren 60 Studierende aus Marokko an österreichischen (Fach-) Hochschulen inskribiert.
  • Im Studienjahr 2015/16 absolvierten vier Studierende aus Österreich einen Aufenthalt an einer Universität Marokkos im Rahmen eines geförderten Mobilitätsprogramms.
  • Derzeit laufen sechs Projekte, bei denen österreichische und marokkanische Hochschuleinrichtungen zusammenarbeiten.
  • Bilaterale Abkommen zwischen ÖAW oder FWF und Marokko gibt es derzeit keine.

Was passiert, wenn die Lichtsignalverarbeitung in einer Pflanze gestört ist?

Das haben wir mit genetisch veränderten Pflanzen untersucht, anhand einer Arabidopsis-Sorte. Können Pflanzen kein Licht verarbeiten, dann verlängern sich die Zellen zu sehr, die Zellwände werden zu elastisch. Dann wachsen die Pflanzen nicht, sie hängen nur herunter.

Haben Sie weitere Projekte mit der FBi-Technologie geplant?

Unser endgültiges Ziel ist zu verstehen, wie sich die extrazelluläre Matrix abhängig von verschiedenen Umweltfaktorn verändert. Als nächstes wollen wir die Abwehrmechanismen der Zellwände untersuchen. Hier sitzen zahlreiche Rezeptoren, die wie kleine Antennen funktionieren. Sie empfangen pflanzeneigene und dem Organismus fremde Signale, etwa von Bakterien. Passiert Letzteres, dann wird die Wand plötzlich gestärkt und dieses Signal auch an die Nachbarzellen geschickt. Und wie das genau funktioniert, dieses Immunsystem der Pflanze, wollen wir verstehen.

Das Gespräch führte Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

Mehr zu dem Thema: