„Ohne Ribosomen gäbe es kein Leben“

Die Israelin Ada Yonath gilt als die weltweit führende Ribosomenforscherin. In einem Interview spricht die Chemie-Nobelpreisträgerin über die letzten Trends ihres Faches, neuartige Antibiotika und den Ursprung des Lebens.

Ohne Protein wäre nicht viel los mit uns: der menschliche Körper braucht es, um neue Zellen aufzubauen und zu reparieren. Er braucht Protein, um Antikörper zu bilden, für die Verdauung oder den Hormonbetrieb. Damit das alles reibungslos funktioniert, arbeitet ein Makromolekül unablässig in unseren Zellen: das Ribosom. Es baut genau das Eiweiß, das die jeweilige Zelle benötigt – nach einem Bauplan, den es von der DNA bekommt.

Uraltes Molekül

Kaum jemand hat sich so lange und intensiv mit dem Ribosom beschäftigt wie die Israelin Ada Yonath, Professorin für Strukturbiologie und Direktorin des Center for Biomolecular Structure and Assembly am Weizmann Institute of Science in Rehovot.

Ada Yonath in Wien zu Gast

Für ihre Erkenntnisse zum Aufbau und zur Funktionsweise des Ribosoms wurde Ada Yonath im Jahr 2009 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet – gemeinsam mit Venkatraman Ramakrishnan aus Cambridge und Thomas Steitz von der Yale University.

Am Mittwoch war sie auf Einladung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu Gast in Wien und sprach über ihre aktuellen Forschungsprojekte.

Sendungshinweis

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Seit dem Jahr 2000 ist dank Yonath klar, wie die ribosomale Proteinproduktion genau abläuft. Sie hatte ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Ribosomen kristallisieren lassen. Mittels einer Röntgenstrukturanalyse konnte man so die atomare Struktur der Ribosomen identifizieren.

Auf diesem Wissen bauen neue, auch medizinisch relevante Fragestellungen auf. Am Anfang steht Ada Yonaths Erkenntnis über die Evolution des Ribosoms – die hat nämlich kaum stattgefunden. Die grundlegende Aktivität der Peptidbindung, also die Bildung einer Kette von Aminosäuresequenzen nach dem vorgegebenen Informationen aus der Boten-RNA, ist bei allen heute existierenden Lebewesen gleich geblieben, erzählt sie.

„Der Teil im Ribosom, der die Proteine macht, ist das Peptidyltransferase-Zentrum, kurz PTC, und das funktioniert bei allen uns bekannten Ribosomen gleich.“ 930 Ribosomen hat Yonath und ihre Forschungsgruppe bereits getestet. „In Bakterien, in Kakerlaken, in Blumen, Fischen , Elefanten oder Menschen – sie funktionieren immer gleich. Dieser Mechanismus ist von der Evolution ziemlich unbeeindruckt geblieben“.

Die „Fabrik“ in der Zelle

Jedes Ribosom arbeite wie eine kleine Fabrik, erklärt Ada Yonath. Je nach genetischer Anweisung konstruiert es einen Sportwagen oder Traktor. Ribosomen bestehen zu einem Drittel selbst aus Proteinen, zu zwei Dritteln aus Ribonukleinsäure, kurz RNA. Über ein Botenmolekül, die Messenger-RNA, erhält das Ribosom die Erbinformation der DNA. Diese Erbinformation bestimmt, welche Aminosäuren aneinandergereiht werden müssen. Die Ribosomen bauen nach diesem Prinzip ein bestimmtes Protein mit seiner speziellen Aminosäuren-Abfolge.

Antibiotika setzen am Ribosom an

Das Wissen um den genauen Ablauf der Proteinproduktion hat auch der Antibiotikaforschung neuen Input gebracht. Denn viele Antibiotika setzen bei den Ribosomen der krankmachenden Bakterien an. Auch eine Erkenntnis, die von Ada Yonath und ihrer Forschungsgruppe stammt. „Wenn Sie das Leben eines Bakteriums beenden möchten, dann müssen Sie nur das Ribosom lahmlegen. Ohne Proteine wird das Bakterium sterben!“, erklärt Yonath - und vergleicht den Kampf zwischen Antibiotikum und Bakterium mit der biblischen Geschichte von David und Goliath.

Ada Yonath im Gespräch

ORF/Ronzheimer

Ada Yonath im ORF-Interview

„Der kleine David ist das Antibiotikum, und er schmeißt den Stein auf Goliath, in unserem Fall das Ribosom.“ Schließlich habe das Antibiotikum viel weniger Molekulargewicht als das Ribosom. Doch David, das Antibiotikum, wirft den Stein – und der trifft Goliath, das Ribosom, genau an der richtigen Stelle.

„Der Stein bindet sich an das Ribosom an einen Ort, der wichtig ist für die Proteinproduktion“, so Yonath. Ungefähr die Hälfte der Antibiotika arbeitet auf diese Weise: Sie zerstören Leben, indem sie die Eiweißproduktion lahmlegen. „Und wenn wir diesen Prozess noch genauer verstehen - wie sie sich an das Ribosom binden – dann können wir versuchen, die Medikamente zu verbessern.“

Neue Waffen gegen Bakterien

Nicht alle Antibiotika wirken über die Ribosomen - Penicillin beispielsweise zerstört die Zellmembran, greift aber nicht direkt in die Proteinproduktion ein. Für all jene Antibiotika, die an das Ribosom andocken, gibt es Hoffnung für Innovation, meint Yonath. „Wir können versuchen, das Antibiotikum zu vergrößern, so dass es noch effizienter stören kann. Außerdem weisen manche pathogene, also krankheitserregende Bakterien, andere ribosomale Kontaktstellen auf als nicht pathogene Bakterien“, erklärt Yonath. Das Ziel wäre es, neue Medikamente zu designen, die direkt auf diese speziellen Kontaktstellen zugeschnitten werden.

Gemeinsam mit Biotechfirmen wie beispielsweise der Wiener Firma Nabriva arbeitet Yonath zurzeit an der Herstellung neuer Antibiotika, die zwar die Krankheitserreger bekämpfen, nicht aber die gesunden Bakterien. Ziel sei es, Antibiotika herzustellen, die nur bei den pathogenen Bakterien wirken, nicht aber den Patienten angreifen. Für diesen Schritt bedürfe es aber noch weiterer Forschung: „Dazu müssen wir schauen, wie sich die Kontaktstellen zwischen Menschen und Bakterien unterscheiden.“ Die Ribosomen beim Menschen seien zwar um einiges größer als die von Bakterien. Das beträfe aber nicht die aktiven Stellen, wo das Protein produziert wird, meint Yonath.

Kein Rezept gegen Multiresistenz

Auch im Hinblick auf die zunehmende Multiresistenz werden dringend neue Ansätze in der Antibiotikaforschung gesucht. Lösen lässt sich dieses Problem aber auch mittels Ribosomenforschung nicht, meint Yonath. „Wir können das Resistenzproblem nicht lösen. Bakterien sind intelligenter als wir. Die werden immer Wege finden, Resistenzen zu bilden." Doch man könne den Bakterien das Leben erschweren, meint Yonath: „Wir können versuchen, mehr Kontrolle über sie zu bekommen, die Vermehrung zu verlangsamen. Wir können Resistenzen nicht stoppen – nur gegen sie ankämpfen."

Ein weiterer Schwerpunkt in der Ribosomenforschung von Ada Yonath ist die Beschäftigung mit dem Urzeit-Ribosom. Ein solches Proto-Ribosom könne Aufschluss geben über die Entstehung des Lebens, hofft Ada Yonath. „Es geht hier nicht nur um den Ursprung des Ribosoms, sondern auch um den Ursprung des Proteins, das wiederum die Zellen aktiviert. Und somit Leben erst ermöglicht“.

Hanna Ronzheimer, science.ORF.at

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