Neues Zentrum soll die Wissenschaft „öffnen“

Bürger befragen und mehr mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten - diese Methoden sollen neue Ansätze in die Wissenschaft bringen. Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) eröffnet deshalb heute ein Zentrum für Open Innovation.

Um als Forscher auf neue Ideen zu kommen, kann es sich generell lohnen, mit anderen zu kooperieren, davon ist die Kommunikationswissenschaftlerin Lucia Malfent überzeugt. Sie wird, wie die Ludwig Boltzmann Gesellschaft heute Abend bekannt gibt, zusammen mit der Innovationsforscherin Marion Poetz die Leitung des Zentrums für Open Innovation in Science in Wien übernehmen.

„Wir nennen das ‚unübliche Wissensgeber einbinden’“, so Malfent gegenüber science.ORF.at. „Die Wissenschaft hat nämlich manchmal das Problem, dass sie sich zu sehr in sich selbst vertieft und dabei übersieht, dass es Menschen gibt, die von den Problemen, die Wissenschaftler bearbeiten, betroffen sind und dazu viel zu sagen haben.“

Unübliche Wissensgeber hatten Malfent und Poetz auch bei ihrem Pilotprojekt „Reden Sie mit!". Hier befragten sie online psychisch erkrankte Menschen, deren Angehörige, Pfleger und Psychotherapeutinnen, was zu psychischen Erkrankungen erforscht werden sollte.

Weißer Fleck auf Wissenschaftslandkarte

Tatsächlich deckten sie durch diesen Aufruf einen weißen Fleck in der Wissenschaft auf, erklärt Malfent. „Es gibt offensichtlich einen klaren Mangel an Forschung, aber auch an Therapieformen für Kinder psychisch kranker Eltern. Damit sind Fragen verbunden wie: Was bedeutet das für die Entwicklung eines Kindes? Oder: Warum bleiben manche gesund und andere erkranken schließlich selbst?“

Diesen Fragen sollen sich Medizinerinnen, gemeinsam mit Psychologen, Soziologen sowie Forschern anderer Disziplinen in einem speziellen LBG-Forschungsinstitut widmen - das ist für 2018 geplant. Einen Fahrplan für diese Zusammenarbeit zu schaffen ist nun ebenso Aufgabe des neuen Innovations-Zentrums wie das Erproben verschiedener Bürger-Befragungs-Methoden zu anderen Themen.

Ö1 Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in der Sendung „Wissen aktuell“ am 11.10. um 13:55.

Bürger befragen allein reicht nicht

„Die Bürger zu befragen ist nie der Weisheit letzter Schluss, es kann aber manchmal sinnvoll sein. Allerding muss man vorher klären: was will ich wissen, wen möchte man befragen und wie erreicht man diese Menschen?“, so Malfent.

Bei „Reden Sie mit!“ holten sich die Forscherinnen deshalb jene Institutionen an Bord, die Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige sind, um auch Zugang zu diesen Gruppen zu finden.

Damit aus dem Pool von Anregungen - bei diesem Pilotprojekt waren es 400 zum Teil seitenlange Vorschläge - dann ein neues Forschungsprojekt werden kann, müssen Experten ihre Wissenschaftsbrillen teilweise ablegen, fordert Malfent. „Wir diskutierten die Vorschläge gemeinsam mit Pflegern, Medizinern, Psychologen und Vertretern von Angehörigenorganisationen. Bei den Wissenschaftlern sahen einige zum Beispiel nur das, was sie schon kannten und filterten alles andere heraus. Man muss sich aber manchmal sogar erlauben, scheinbar unwissenschaftliche Ideen zuzulassen.“

Wo macht Open Innovation Sinn?

Das Zentrum für Open Innovation in Science ist darauf ausgerichtet, in weiteren Projekten zu erforschen, wo und wie sich die Wissenschaft öffnen soll und nach welchen Regeln man ungewöhnliche Forschungsansätze und Lösungen findet.

Das „Open Innovation in Science Research and Competence Center“ der Ludwig Boltzmann Gesellschaft wird am 11.10.vorgestellt. Damit knüpft die LBG an bisherige Projekte wie das „Lab for Open Innovation in Science“ an.

„Das betrifft den gesamten Forschungsprozess - von der Entwicklung von Forschungsfragen, über die Durchführung von wissenschaftlichen Studien bis hin zur Übersetzung von wissenschaftlicher Erkenntnis in Innovationen“, erklärt die wissenschaftliche Zentrums-Leiterin Poetz. Damit wollen die leitenden Wissenschaftlerinnen erreichen, dass Forschung nicht nur einen wissenschaftlichen sondern vermehrt auch einen gesellschaftlichen Nutzen haben.

Ein Zentrum für drei Jahre

Drei Jahre haben die beiden Leiterinnen zusammen mit acht Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Zeit auszuprobieren, wie offene Innovationsprozesse in der Wissenschaft funktionieren können, die auch in der Wirtschaft und hier schon länger angewendet werden. „Im wirtschaftlichen Kontext sind Innovationsprozess und -ergebnis - sprich neue Produkte, Services, Geschäftsmodelle - klar definiert. In der Wissenschaft ist das etwas anders, hier geht es in erster Linie um Forschungsergebnisse und erst dann darum, wie man diese Ergebnisse in Innovationen überführen kann“, erklärt Poetz.

Wie Forschungsergebnisse zu verwerten sind und wer letztlich ein Stück vom Kuchen bekommen soll, wird die Forscherinnen die nächsten Jahre ebenfalls beschäftigen, so Poetz.

Die Methoden, die im Rahmen des Zentrums und anderen Projekten entwickelt werden, werden zudem in speziellen Trainings auch an interessierte Wissenschaftler weitergegeben. „Forscher und Forscherinnen sollen lernen, wie Open Innovation in Science funktioniert“, so Poetz.

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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