Warum Nacktmulle kaum Schmerzen spüren

Nicht besonders hübsch, aber außergewöhnlich: Nacktmulle sind krebsresistent, langlebig und schmerzunempfindlich. Nicht einmal Hitze auf entzündeter Haut macht ihnen etwas aus - eine winzige Abweichung bei der Reizübermittlung ist laut Forschern dafür verantwortlich.

Ziel der Wissenschaftler um Gary Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin war es, einer bestimmten Form des Schmerzempfindens auf den Grund zu gehen, der thermalen Hyperalgesie - einer Überempfindlichkeit gegenüber Hitzereizen bei einer Entzündung. Viele Menschen kennen das aus eigener Erfahrung: Mit Sonnenbrand auf der Haut schmerzen selbst milde Sonnenstrahlen heftig. Bei den meisten Tieren gibt es eine solche Kopplung von Entzündung und Wärmereiz, Nacktmulle hingegen kennen derlei nicht.

Geschwächter Reiz

Bei einer bestehenden Entzündung binden in den sensorischen Neuronen bei höheren Temperaturen Nervenwachstumsfaktor-Moleküle (NGF) an einen bestimmten Rezeptor (TrkA). Dadurch wird eine Kaskade von Signalen in Gang gesetzt, die die sensorischen Neuronen letztlich losfeuern lässt. Im Gehirn wird das als Schmerz registriert. Die Kaskade läuft bereits bei Temperaturen, die normalerweise nicht als schmerzhaft empfunden werden.

Nacktmulle in einer Röhre

Laura-Nadine Schuhmache

Nacktmulle kommen aus einer Röhre

Das Team führte Dutzende Versuche durch, um dem Unterschied auf die Spur zu kommen. Ursache der Schmerzunempfindlichkeit ist demnach eine kleine Veränderung im TrkA-Rezeptor der Tiere. In der Folge wird die Kaskade nicht ganz ausgeschaltet, aber erheblich geschwächt. Erst mit zehnfach erhöhter NGF-Dosis reagierten die Nacktmulle wie andere Tiere auch.

Mangelsystem

Ein Erbgutvergleich mit der TrkA-Sequenz 26 anderer Säugetiere sowie fünf eng verwandter Arten ergab, dass es lediglich ein bis drei winzige Veränderungen bei Aminosäuren sind, die den Rezeptor weniger empfindlich machen. „Obwohl die Nacktmull-Version des TrkA-Rezeptors fast identisch mit der einer Maus oder Ratte ist, gibt es einen deutlichen Effekt auf die Fähigkeit der Tiere, Schmerz zu empfinden“, erklärt Lewin.

Die thermale Hyperalgesie hat einen schützenden Effekt: Durch Verletzung oder Entzündung vorgeschädigtes Gewebe soll vor weiteren Schäden bewahrt werden. Für Nacktmulle sei es aber wohl vorteilhafter, auf dieses Schmerzsystem zu verzichten: In der heißen Lebenswelt der dicht gedrängt in unterirdischen Kolonien hausenden Tieren schade sie eher, als sie nutze. Zudem lebten Nacktmulle in ständigem Mangel, und es sei ein sinnvoller Schritt der Evolution, an jedem noch so kleinen System zu sparen, das für die Körperfunktion nicht dringend benötigt werde.

Enorme Lebenserwartung

Nacktmulle sind fast blind, haben eine faltige, rosabraune Haut mit nur wenigen Haaren und keine Ohrmuscheln. Oft werden sie als Inbegriff der Hässlichkeit empfunden - lassen Forscher aber seit Jahren immer wieder aufs Neue staunen. Die Tiere verfügen offenbar über eine Art inneren Jungbrunnen: Sie bekommen keinen Krebs, ihre Zellen altern kaum, die Lebenserwartung liegt bei etwa 30 Jahren - eine ähnlich große Maus hält nur ein bis zwei Jahre durch.

Faszinierend ist auch die Schmerzresistenz der Tiere: Auf chemische Reize wie Säure oder Chiliextrakt reagieren sie kaum. Forscher vermuten die Ursache im extremen Lebensumfeld: Der hohe Kohlendioxidgehalt der Luft in den Kolonien würde bei Säugetieren üblicherweise zu einer Übersäuerung des Gewebes und damit einhergehend zu starken Schmerzen führen.

Nacktmulle bilden in den Halbwüstenregionen Ostafrikas Kolonien von bis zu 300 Tieren. Wie bei Bienen und Ameisen gibt es eine Königin, die die Gruppe anführt - auch das ist außergewöhnlich für Säugetiere. Nur sie pflanzt sich mit wenigen Männchen fort, alle anderen Tiere sind Arbeiter, kümmern sich um den Nachwuchs, die Bauten und die Verteidigung der Kolonie.

science.ORF.at/APA/dpa

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