„Schon wieder Flintenweiber“

1939, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, haben rund zehn Prozent der Deutschen einen Fotoapparat besessen, darunter viele Soldaten der Wehrmacht. Sie folgten dem Aufruf des NS-Propagandaministeriums, „die Kamera auch im Krieg nicht ruhen zu lassen“.

Ihre privaten Einzelaufnahmen und Fotoalben hat die Kunsthistorikerin Petra Bopp gesammelt und erforscht. Das Ergebnis ist nun im Volkskundemuseum Wien zu sehen.

science.ORF.at: Sammler, ehemalige Wehrmachtssoldaten und deren Nachkommen haben Ihnen Einzelfotos und Alben überlassen. Wie lässt sich das zu Sehende einordnen?

Petra Bopp: Die Aufnahmen dokumentieren, wie der Krieg gesehen wurde, aber nicht, wie er war. Das viele Material fußt auch ein wenig auf der Fotografiebewegung der 1920er und 1930er Jahre. Das Ganze verstärkte sich dann 1939 mit dem Krieg, als in Zeitschriften und Reden aufgefordert wurde, dass der Mann jetzt erst recht die Kamera nicht ruhen lassen sollte und dass die Frau zu Hause die Familie fotografieren möge, sodass der Austausch von Heimat und Front über das Bild läuft.

Es sind zum Teil zunächst sehr harmlose Bilder, die erst bei genauerer Beschäftigung das Ausmaß des Kriegsgrauens offenbaren. Etwa das Bild einer durch einen Fluss watenden Frau. Was verbirgt sich dahinter?

Petra Bopp ist Kunsthistorikerin und Kuratorin. Sie hat fünf Jahre lang die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ koordiniert. Daraus ist 2004 ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt zu den privaten Alben ehemaliger Wehrmachtssoldaten entstanden, das bis Februar 2017 im Volkskundemuseum Wien zu sehen ist.

Das ist die erste Aufnahme einer vierteiligen Serie aus der Sowjetunion aus dem Jahr 1942. Auf der Rückseite steht handschriftlich „Minenprobe.“ Der Befehl, auf dem das gründet, ist der Befehl „Minensuchgerät 42“, der heißt, dass Juden- und Bandenangehörige durch vermintes Gelände zu jagen sind, bevor die Wehrmacht durch dieses Gelände geht. Als Bandenangehörige bezeichnete das NS-Regime widerständische Partisaninnen und Partisanen. Bild zwei und drei dieser Serie zeigen Lastwägen der Wehrmacht, wie sie den Fluss passieren. Auf Bild vier ist ein völlig zerstörtes Fahrzeug zu sehen, das beim Passieren des Flusses auf eine Mine getroffen ist.

„Die Minenprobe“, so lautet die Beschriftung der Bildrückseite. Eine Umsetzung des tödlichen Befehls zum so genannten „Minensuchgerät 42“

Archiv Reiner Moneth, Norden

„Die Minenprobe“, so lautet die Beschriftung der Bildrückseite, 1942

Die Fotos zeigen Soldaten beim Kochen ebenso wie beim Anzünden von Häusern bzw. Dörfern, die Vertreibungen von Zivilisten, jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, selbst Erschießungsszenen. Konnten die Soldaten fotografieren, was sie wollten?

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1 Journale, 13.10., 12:00 Uhr.

Ja, wir haben selbst Fotos davon, wie jemand sein eigenes Grab schaufelt und später erschossen im Grab liegt. Das ist eine dreiteilige Serie. Im Gegensatz zu den Wehrmachtssoldaten hatten die professionellen Propagandafotografen eigentlich jeden Tag Order, was sie fotografieren sollten, an den unterschiedlichen Einsätzen und Frontabschnitten. Sie waren gezwungen, ganz bestimmte Dinge zu fotografieren und ästhetische Normen einzuhalten. Die wurden zum Teil auch von den Soldaten übernommen. Zunächst wurden die Soldaten ja 1939 dazu aufgefordert, alles zu fotografieren. Es gab dann aber 1941 tatsächlich ein Verbot, als man zum Teil schon in Polen, aber spätestens in der Sowjetunion gemerkt hat, dass Exekutionen und Hängungen überbordend fotografiert wurden. Aber das kam viel zu spät, die Soldaten hatten längstens auch solche Situationen fotografiert.

„So sieht es im blöden Russland aus“ ist der Titel einer Station der Ausstellung. So hat ein Soldat eines seiner Fotos beschrieben, das Russland im Winter zeigt: Verschneit und nebelig. Was erzählen uns die Fotoaufnahmen und Bildbeschriftungen sonst noch über den Blick der Wehrmachtssoldaten auf Russland und seine Bevölkerung?

Alben aus Privatbesitz gesucht

Das Volkskundemuseum Wien bietet die Möglichkeit, Alben aus privaten Haushalten einzubringen. Eine Auswahl wird ab 2. Februar 2017 in einer eigenen Ausstellung präsentiert. Termine zur Albumsichtung: Donnerstag, 3.11. / 24.11. / 15.12. / 12.1., jeweils 13.00-18.00 Uhr; Kontakt: Herbert Justnik, Email: fotosammlung@volkskundemuseum.at Tel.: +43 1 406 89 05.21

Wir versuchen die unterschiedliche Art und Weise, wie an den Fronten fotografiert wurde, darzustellen. Etwa in Polen, in Frankreich, in Griechenland oder eben in Russland bzw. der Sowjetunion. Da kommt dann schon der Einfluss der Propaganda durch, indem ganz bestimmte Rassismen wiederholt wurden. Das geht in Frankreich damit los, dass die schwarzen Soldaten in den Kolonialarmeen der Franzosen für die meisten Deutschen erstmal verblüffend waren. Dass sie gegen sie gekämpft haben, das empfanden sie als eine Schmach, das war nicht entsprechend. Gegen Franzosen zu kämpfen war in Ordnung. Und das zeigt sich in den Bildern ziemlich harsch, indem die Schwarzen als Gefangene wirklich vorgeführt werden, indem sie höhnisch und zynisch benannt werden.

Deutscher Soldat führt einen Kriegsgefangenen der französischen Kolonialtruppen vor

Münchner Stadtmuseum

Deutscher Soldat führt einen Kriegsgefangenen der französischen Kolonialtruppen vor, ohne Datierung

Wenn man dann in die Sowjetunion guckt, unterscheiden sich die Fotos schon stark, weil die weite Landschaft viel fotografiert wurde und die russischen Kirchen, aber eben auch die Denkmalstürze, etwa einen Leninstatue ohne Kopf. Dann gab es aber auch in der Sowjetunion speziell viele Fotos von richtigen Verbrechen, indem Häuser angezündet werden, da fotografierte man sich gegenseitig. Man sieht weibliche Zivilbevölkerung, wie sie über die Felder flüchtet, von einem reitenden Soldaten getrieben. Dann die ganz großen Gefangenenzüge, das war ja mit eines der schlimmsten Verbrechen, dass unendlich viele Gefangene zusammengetrieben und im Freien gelassen wurden, ohne jede Verpflegung, ohne jeden Schutz.

In dieser Reihe sticht eine Aufnahme besonders hervor: gefangene Soldatinnen der Roten Armee.

Ja, das findet man immer wieder in den Briefen und Alben, betitelt mit „Schon wieder russische Flintenweiber“, also sehr abschätzig. Dahinter steckte aber eine unglaubliche Angst vor den Frauen in Uniform direkt an der Front. Wie wir wissen, gab es auch Frauen in der Wehrmacht, aber an ganz anderen Stellen und nicht an der Front. Und es gibt immerzu Szenen, wo diese Frauen nahezu schreckhaft fotografiert wurden.

Sowjetische Soldatinnen, vermutlich vor einem Verhör. Sowjetunion, ohne Datierung

Archiv Reiner Moneth, Norden

Sowjetische Soldatinnen, vermutlich vor einem Verhör. Sowjetunion, ohne Datierung

In den Alben finden sich auch immer wieder leere Stellen, wie ist das erklärbar?

Das ist natürlich verblüffend, wenn man über so etwas stolpert. Aber das ist der Vorteil, wenn man die Familien und die Provenienz der Alben kennt und nachfragen kann. Mir hat zum Beispiel die Enkelin eines ehemaligen Wehrmachtssoldaten ein Album überlassen. Eine Seite ist leer, man sieht noch die Klebestellen, aber es ist nur noch ein Bilduntertitel übrig. Er lautet „Erschossene Partisanin“. Die Enkelin hat mir erzählt, dass nach dem Tod ihres Großvaters dessen Tochter, ihre Mutter, das Foto nach seinem Tod wütend aus dem Album herausgerissen hat, weil sie dieses Foto nicht ausgehalten hat. Das ist eben genau das, was zeigt, wie mit den Alben weiter umgegangen worden ist. Dem bin ich öfter begegnet.

Sie sind ja nach wie vor auf der Suche nach Alben und Aufnahmen aus Privatbesitz, vorzugsweise aus der Umgebung Wien. Einige sind aber bereits in der Ausstellung zu sehen, welches davon hat sie besonders beschäftigt?

Das sind zwei Alben der Säuglings- und Krankenschwester Marianne Leitner, die wir von der Sammlung Frauennachlässe zur Verfügung gestellt bekommen haben. Sie zeigen Bilder aus dem sogenannten „Lebensbornheim“ im Wienerwald. (Dort wurden uneheliche und verschleppte Kinder im Sinne der Nationalsozialisten großgezogen oder selektiert und in der Folge deportiert und ermordet. Anm.). Sie wurde dort ausgebildet. Da gibt es unter anderem ein kleines Foto, wo sie auf dem Balkon in der Sonne mit einem Baby gezeigt wird und darauf heißt es „SS-Heim Wienerwald, Sommer 1941“.

SS-Heim Wienerwald Sommer 1941

Marianne Leitner - Sammlung Frauennachlässe

SS-Heim Wienerwald, Sommer 1941

Sie bezeichnet dieses Lebensbornheim dezidiert als SS-Heim, das war es auch. Und sie schreibt „SS“ auch in diesen typischen Runen. Davor gibt es Seiten in dem Album, wo sie als junge Schwesternschülerin steht, darüber die Hakenkreuzfahne, auch ein Foto mit Hitler im Schatten, aber durchaus erkennbar. Die Krankenschwestern aus den „Lebensbornheimen“ haben sich bis in die 2000er Jahre getroffen. Die Fotos aus den 1940er Jahren werden von Farbaufnahmen von diesen Treffen ergänzt. Das lief also ähnlich wie die Kameradentreffen der Männer.

Interview: Tanja Malle, Ö1 Wissenschaft

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