Reiches Angebot, wenig Vernetzung

Wie sieht die Zukunft der Hochschulen in Österreich aus? Dieser Frage widmet science.ORF.at eine Serie an Beiträgen. Der erste stammt von Antonio Loprieno, dem Vorsitzenden des Österreichischen Wissenschaftsrats. Er plädiert für mehr Wettbewerb und Vernetzung.

Eine positive Eigenschaft des Wissensstandorts Österreich ist das Zusammenspiel von institutioneller Vielfalt und systemischer Stabilität. Öffentliche Universitäten, Fachhochschulen, Privatuniversitäten, exzellente Forschungsinstitutionen fügen sich mit ihren jeweiligen Alleinstellungsmerkmalen zu einer differenzierten Bildungs- und Ausbildungslandschaft zusammen.

Radikale Veränderungen

Gleichzeitig hat die historisch gewachsene Trennung in Hochschultypen zu einer inneren Konsolidierung der Sektoren geführt, die distinktive Merkmale aufweisen und politisch wie zivilgesellschaftlich unterschiedliche Anspruchsgruppen mobilisieren. So sind auch die Verfahren der Qualitätssicherung je nach Hochschulsektor gesetzlich anders geregelt: im Sinne der systemischen Harmonie (und möglicherweise auch eines offenen Bildungsmarktes) ein Fluch, im Sinne der institutionellen Diversität (und gewiss auch im Sinne der Aufrechterhaltung bestehender Marktsegmente) ein Segen.

Antonio Loprieno

APA/ÖSTERREICH. WISSENSCHAFTSRAT

Der Autor

Der Ägyptologe, ehemalige Rektor der Universität Basel und frühere Vorsitzende der Schweizer Rektorenkonferenz, Antonio Loprieno, sitzt seit Beginn 2016 dem Österreichischen Wissenschaftsrat vor. Der zwölfköpfige Wissenschaftsrat berät den Wissenschaftsminister und die Universitäten sowie den Nationalrat und die Landtage in Hochschulthemen und Fragen der Wissenschaftspolitik.

Allerdings stellen neulich beide Aspekte – die institutionelle Varietät auf der einen Seite und die inhomogenen Bestimmungen auf der anderen – den Hochschulstandort Österreich vor neue Herausforderungen. Denn die europäische Wissenslandschaft hat sich seit dem Universitätsgesetz 2002 (und erst recht seit dem Fachhochschul-Studiengesetz von 1993) radikal verändert. Was damals als Neuerung erschien, vor allem die Autonomie der Universitäten, ist zum kennzeichnenden Merkmal aller europäischen Hochschulen aufgestiegen.

Aber die Interpretation des Begriffes stellt unser Hochschulwesen vor neue Aufgaben. Denn „Autonomie“ bezieht sich in vielen europäischen Ländern wie Holland, Deutschland, Frankreich oder der Schweiz nicht nur auf die akademische und administrative Eigenständigkeit, sondern betrifft auch die Möglichkeit, die strategischen Ziele, je nach Bedarf, in Kooperation oder im Wettbewerb mit anderen Hochschulen zu definieren. Und diesbezüglich führt die systemische Stabilität des Hochschulstandortes Österreich zu einem Defizit in punkto Innovation.

Zu wenig Konkurrenz

Denn hierzulande denken Institutionen des Wissens weiterhin primär in sektorialen Kategorien (Universität, Fachhochschule, Forschungsinstitut, usw.), indem sie die Steuerung der auch finanziellen Konkurrenz unter ihnen der öffentlichen Hand überlassen.

Veranstaltung

Der Zukunft der Hochschulen widmet sich die Konferenz „Differenzierung im Hochschulsystem: Notwendigkeiten, Chancen und Risiken“ am 21.10.2016 - weitere Informationen.

„Weiterhin“ deshalb, weil in vielen europäischen Nachbarländern in den letzten Jahren verschiedene Formen anreizgesteuerter Konkurrenz auf institutioneller Ebene die historisch gewachsene Verteilung der öffentlichen Finanzierung flexibilisiert haben: Instrumente wie die Exzellenzinitiative in Deutschland oder die Investissements d’excellence in Frankreich haben einerseits die Orientierung bestimmter Universitäten an der Forschungsexzellenz mit zusätzlichen finanziellen Ausstattungen belohnt, andererseits die Dynamik aller Hochschulen in der Suche nach kompetitiven Drittmitteln, privaten Partnerschaften und Wissenstransfer beschleunigt.

Wissenschaft und Wirtschaft

Eine weitere Entwicklung im europäischen Hochschulraum, auf die Österreich verhaltener als benachbarte Forschungslandschaften reagiert hat, ist die Allianz zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zur Verbesserung der Standortvorteile. Von München bis Grenoble, von Delft bis Zürich ist die Verzahnung zwischen forschungsstarken Hochschulen und regionaler Wirtschaft im Sinne der Positionierung des jeweiligen Standortes im nationalen oder globalen Wettbewerb intensiviert worden.

Muss man jedoch anerkennen, dass solche Entwicklungen in der Strategie und in der Finanzierung autonomer Institutionen auf Kosten der Solidarität zwischen ihnen gehen: je mehr sich Hochschulen in einem Wettbewerb sehen, in dem sie mit jeweils anderen politischen oder wirtschaftlichen Partnern zusammenspannen, desto weniger sind sie bereit, sich auf eine verordnete Harmonisierung ihres Portfolios einzulassen. Was sollten wir deshalb wollen? Freier Wettbewerb im Hinblick auf eine Differenzierung oder gesteuerte Koordination im Hinblick auf eine Harmonisierung? Vielfalt der institutionellen Gefäße oder Vielfalt der akademischen Inhalte?

Vorteile für die Stärkeren …

Die Beantwortung dieser Frage ist nicht trivial, denn bei jedem Wettbewerb stehen nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer da. Der Prozess der Dynamisierung der Hochschullandschaft tendiert unausweichlich zur Bevorteilung der forschungsstärkeren Institutionen mit ausreichender kritischer Masse und passendem fachlichen Portfolio: In Lebenswissenschaften und Physik lässt sich nämlich kritische Masse leichter bündeln als in Germanistik und Pädagogik.

Und obwohl es auch für kleinere Universitäten nicht unmöglich ist, sich in einem auf Exzellenz ausgerichteten Wettbewerb zu behaupten (Beispiele wie Konstanz in Deutschland und Bordeaux in Frankreich zeigen dies ausdrücklich), ist es fair zu sagen, dass das durch die Rankings vertretene, global hegemonische Ideal der World-class university sich in Österreich realistisch nur an wenigen Universitäten realisieren ließe.

…deshalb Vernetzung der Kleineren

Zukunft der Hochschulen

Anfang 2016 hat das Wissenschaftsministerium einen Strategieprozess rund um die Frage gestartet, wie der Hochschulsektor in Österreich zukünftig organisiert und finanziert sein soll. Welche inhaltlichen Vorstellungen gibt es dazu? Welche Ziele verfolgen die Hauptakteure in diesem Prozess, der bis Ende 2017 abgeschlossen sein soll? science.ORF.at geht diesen Fragen in einer Serie nach.

Bisher erschienen:

Deshalb sprechen sich jetzt einige Akteure in unserer Hochschullandschaft für Prozesse der Harmonisierung zwischen kleineren Hochschulen, um zur größeren Sichtbarkeit zu gelangen, andere wiederum für eine marktgesteuerte Differenzierung innerhalb des nationalen Hochschulsystems aus. Beide Modelle können erst dann funktionieren, wenn nicht nur einem Instrument zur Bestimmung der Qualität einer Hochschule, nämlich die Forschungsstärke im Sinne der Konzentration von Schwerpunkten oder des Erfolgs in der Einwerbung kompetitiver Drittmittel Deutungshoheit eingeräumt wird, sondern gerade in einem verhältnismäßig kleinen Land wie Österreich verschiedene kleine Exzellenzen in Lehre, Forschung oder gesellschaftlichem Engagement als wichtige Beiträge zur qualitätsvollen Diversität des Systems angesehen werden.

Bedingung für die Entfaltung dieses Potentials ist allerdings die institutionelle Bereitschaft, die auch für eine punktuelle Exzellenz nötige Bündelung und Komplementarität durch eine sinnvolle Dosierung von Kollaboration und Wettbewerb mit nahestehenden Hochschulen – ungeachtet ihrer sektorialen Zugehörigkeit – anzustreben.

Zu wenig Geld für Forschung

Eine weitere Besonderheit der österreichischen Wissenslandschaft ist die relative Unterdotierung der kompetitiven Forschung, insbesondere des Forschungsfonds FWF, im Vergleich mit der historisch gewachsenen Ausstattung einiger universitärer Professuren. Hierin zeigt sich ein dritter Wandel im Selbstverständnis europäischer Universitäten, das vom Primat des Lehrstuhls als Forschungseinheit geleitet war, in Richtung auf ein insbesondere dem naturwissenschaftlichen Bereich entlehntes Modell, welches das Forschungsprojekt privilegiert. Im Hinblick auf das innovative Potential des Systems und auf die komplementäre Schwerpunkbildung als Instrument der Differenzierung scheint eine bessere Ausstattung des FWF unumgänglich und für die Behauptung der österreichischen Forschungsleistung im internationalen Vergleich auch notwendig.

Denn eine bessere Finanzierung der Grundlagenforschung ist gleichzeitig auch eine – freilich durch peer reviews und nicht durch institutionelle Prioritäten geleitete – Form der Finanzierung von Universitäten und Fachhochschulen. Der Hochschulstandort Österreich ist sehr reich an wissenschaftlichem Angebot und institutioneller Varietät. Mit kleinen Justierungen insbesondere im Bereich der Konzentration von Spitzenleistungen kann er sich auf globaler Ebene sehr erfolgreich positionieren.

Antonio Loprieno, Österreichischer Wissenschaftsrat

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