Schock weg, aber Betroffenheit bleibt

Anfang September wurde bekannt, dass die Grabungen in der antiken Stadt Ephesos in der Türkei vorzeitig beendet werden müssen. Grabungsleiterin Sabine Ladstätter spricht von nach wie vor großer Betroffenheit, hofft aber auf eine Fortsetzung des Projekts.

Der Hintergrund der Einstellung der von österreichischen Archäologen geleiteten Grabungen: politische Spannungen zwischen Wien und Ankara. Gelingt es nicht, die Grabungslizenz zu behalten, könnte Österreich „wieder einmal nur mitmachen“ und würde seine führende Rolle verlieren, so Ladstätter im Ö1 Morgenjournal.

Als die Anordnung des türkischen Außenministeriums bekannt wurde, dass die Grabungen abgebrochen werden, waren Sie sehr geschockt. Hat sich Ihr Schock schon gelegt?

Sabine Ladstätter: Der Schock ist weg, die Betroffenheit ist natürlich geblieben. Wir haben nach der erzwungenen Heimreise eine große Informationskampagne für unsere Sponsoren, Geldgeber und für unser Team gestartet, um das Vertrauen nicht zu verlieren.

Warum sind die Grabungen in Ephesos so bedeutend - insbesondere für die österreichische Archäologie?

Österreich arbeitet nicht nur schon seit 150 Jahren in Ephesos, Ephesos ist auch das einzige archäologische Großunternehmen Österreichs. Mehr als 100 Menschen arbeiten auf dieser Grabung, die einen großen Zeitraum - vom 7. Jahrtausend vor Christus bis in die Neuzeit - umfasst.

Sie leben schon sehr lange in der Türkei: Wo sehen Sie denn Unterschiede zwischen Ihrer Wahrnehmung dieses Landes und jener in Österreich?

Die Türkei ist ein sehr großes und vielfältiges Land, und das wird viel zu wenig wahrgenommen. 80 Millionen Einwohner mit unterschiedlichen Religionen und Meinungen - das geht durch die Fokussierung auf die politische Ebene unter. Es fehlt mir im Diskurs eine menschliche Ebene. Wir vergessen, dass Österreich und die Türkei unheimlich viel verbindet. Es ist ja kein Zufall, dass Ephesos eine österreichische Grabung ist. Das geht auf sehr lange Beziehungen zurück.

Dennoch ist es ein Faktum, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Arbeit verloren haben, zumindest suspendiert wurden. Zuletzt kam eine Meldung, dass eine Alternativuniversität von diesen Menschen eröffnet wurde - wie ist denn die Lage der Wissenschaft derzeit?

Es sind genau diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die uns sagen: „Bleibt in unserem Land, helft unserem Land dabei, einen hohen wissenschaftlichen Standard zu erreichen.“ Ich denke, es wäre absolut falsch, der Türkei derzeit den Rücken zu kehren.

Wird es Ihnen gelingen, die Lizenz für die Grabung wiederzubekommen?

Ich war in der Zwischenzeit wieder in der Türkei und bin sehr herzlich empfangen worden. Man muss sich das „Worst-Case-Szenario“ vor Augen halten: Wenn es uns nicht gelingt, die Lizenz zu behalten, könnte Österreich wieder einmal nur mitmachen, aber nicht bestimmen im Sinn einer Definition der Forschungsfragen und des Teams. Österreich als „leading factor“ wäre weg.

Interview: Cornelia Vospernik; Bearbeitung: Elke Ziegler

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