Auf ein schnelles Date mit der Wissenschaft

Ein lauschiges Lokal, Wein und gutes Essen - und tiefe Gespräche über Philosophie, Anthropologie, Populismus und eine Reihe anderer Themen. Zwanzig Minuten lang, bevor die Musik erklingt, und man an einem neuen Tisch sein Glück sucht - so geht Science Speed Dating.

Die 10er Marie, Wien ältester Heuriger, mitten in Ottakring, ist wahrscheinlich nicht der typische Ort, um Literatur als Kommunikationsform zu diskutieren, oder darüber, wie sehr das System Kapitalismus von unserer Sterblichkeit abhängt.

Speedating beim Heurigen

IWM

Das sollte aber nicht so sein, finden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), allen voran Shalini Randeria, die das Institut leitet: „Es ist wichtig, dass die Wissenschaft nicht in einem Elfenbeinturm bleibt. Das gilt besonders für die Geisteswissenschaften. Die Nützlichkeit von Naturwissenschaften wird nie in Frage gestellt, aber die Geistes- und Sozialwissenschaften sind immer unter Legitimationsdruck – und daher ist es auch gut, wenn sie den Schritt nach außen wagen.“

Nachdenken und vorbereiten

Denn kaum jemand weiß, worüber die Köpfe in den verschiedensten wissenschaftlichen Instituten tagtäglich so grübeln. Dabei beschäftigt man sich dort oft einfach viel tiefgehender mit Themen, die uns alle zum Grübeln bringen, die die Gesellschaft bestimmen oder die Zukunft prägen werden. Man spricht an diesem Abend also fast im wahrsten Sinne über Gott und die Welt.

science-Speeddating beim Heurigen

IWM

Zum Speed Dating mit den IWM-Fellows sind Leute mit unterschiedlichstem Hintergrund gekommen. Zwei Maturanten sprechen mit dem renommierten Populismusforscher Jan-Werner Müller über die Medien im 21. Jahrhundert, während sich am Nebentisch rund um den Kulturwissenschaftler Andrew Brandel mit vier Leuten eine Diskussion darum entspinnt, ob Wissenschaftler nicht mehr Zeit haben sollten, um Ideen zu entwickeln, als ihnen vom Wissenschaftsalltag gegeben wird.

Akademische Nachbarschaft

Eine der am Tisch Sitzenden hat aus der Bezirkszeitung von der Veranstaltung erfahren und vorbeigeschaut, weil die Idee witzig klang. Sie war rundum positiv überrascht, auch davon, dass so viele internationale Wissenschaftler dabei waren. Das Institut für die Wissenschaft vom Menschen hat sie nämlich, wie viele hier, nicht gekannt - und dort verbringen tatsächlich Wissenschaftler aus aller Welt kurze Forschungsaufenthalte.

Ö1 Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in der Sendung „Wissen aktuell“ am 11.11. um 13:55 Uhr.

Die Ideen findet sie interessant. Bisher hat sie schon darüber diskutiert, wie und ob Religion und Demokratie zusammenpassen, und wie sich das in verschiedenen Kulturen unterscheiden kann. Am hellhörigsten wurde sie aber, als zwei der amerikanischen Austauschwissenschaftler erzählt haben, dass sie sich so eine Veranstaltung in den USA kaum vorstellen könnten: Es würden schlicht keine Leute kommen, zu groß sei die Ablehnung von Intellektuellen und Akademikern in jenen Gruppen, die nicht ohnehin etwas mit dieser Welt zu tun haben. Das habe sie am meisten überrascht. Der Kulturwissenschaftler Andrew Brandel, selbst US-Amerikaner, stimmt zu.

Aufklärer und Zukunftsvisionen

Ein älterer Herr aus Irland, der jetzt in Österreich lebt, erzählt, dass ihm gerade die gemischten Gruppen so gut gefallen: Er ein Kleinunternehmer, daneben Kreative und natürlich die Koryphäen aus ihren Fächern - einfach zusammen am Tisch. Man habe selten die Möglichkeit, sich über Themen auf diese Art auszutauschen. Er habe es schlicht genossen.

Speedating beim Heurigen

IWM

Und ein 17-jähriger Wiener findet ein sehr romantisches Bild, um das Gefühl dieses Abends zu beschreiben: Ihn erinnere die Veranstaltung so ein bisschen an die Salons in Paris zurzeit der Aufklärung. Das sei vielleicht nicht genau dasselbe, lacht er, aber es werde doch über wichtige Themen, die die Zukunft betreffen, diskutiert. Er würde jederzeit wiederkommen.

Shalini Randeri, die Leiterin des IWM, freut die allgemein positive Reaktion, sie hätte sich nur noch mehr Besucher gewünscht, aber vor allem verfolgt sie mit der Veranstaltung noch einen weiteren Zweck. Die Wissenschaftler müssten lernen, klarer darüber zu sprechen, was sie tun, und warum es Bedeutung hat - und das lernen sie bei so einer Veranstaltung besonders effektiv, meint Randeria: " Wenn man völlig unverständlich redet, dann sieht man das dem anderen direkt im Gesicht an - der kann aufstehen und zum nächsten Tisch gehen!" Die meisten haben aber doch abgewartet, bis die Livemusik zum Wechseln der Tische aufgerufen hat.

Isabella Ferenci, Ö1 Wissenschaft

Mehr zu dem Thema: