300 Jahre Optimismus mit Grund

Er hat Lösungen für die großen Fragen der Menschheit gesucht: Gottfried Wilhelm Leibniz, der am 14. November vor 300 Jahren gestorben ist, gilt als das letzte Universalgenie. Zeitlebens blieb der Philosoph, Mathematiker und Fürstenberater unerschütterlich optimistisch.

Bis zu seinem Tod war er überzeugt davon, die Welt verbessern zu können. Der 1646 geborene Leibniz wollte die Spaltung der Kirche überwinden und entwickelte eine Universalsprache, um Missverständnisse zwischen den Völkern zu beenden.

Inspiration bis heute

„Seine Visionen auf unterschiedlichsten Gebieten inspirieren Wissenschaftler bis heute“, sagt der Leiter des Leibniz-Archivs in Hannover, Michael Kempe. So sei kürzlich ein Softwareentwickler aus den USA angereist, um in Leibniz’ Schriften Anregungen für neue Algorithmen zu finden.

Die niedersächsische Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek verwahrt den Nachlass des großen Denkers. Etwa 200.000 handschriftlich beschriebene Seiten lagern hier, darunter der zum UNESCO-Welterbe gehörende Briefwechsel mit 1.300 Briefpartnern rund um den Erdball - darunter Isaac Newton, der Philosoph Spinoza und Jesuitenpater in China.

Einer der Briefe von Leibniz

Associated Press

Einer der Briefe von Leibniz

Erschlossen ist das Gesamtwerk des Multitalents noch lange nicht. „Es ist der größte Gelehrtennachlass der Weltgeschichte“, sagt Kempe. Die 1923 begonnene Gesamtedition der Schriften wird voraussichtlich bis zum Jahr 2055 dauern. Kempe glaubt, dass weitere Überraschungen im Nachlass schlummern. „Leibniz hält Antworten bereit auf Fragen, die wir im Moment noch gar nicht stellen.“

Grundlagen für den Computer

40 Jahre lang wirkte Leibniz als Hofrat und Bibliothekar des Welfenherzogs in Hannover. In der Mathematik war er seiner Zeit weit voraus. 1673 stellte er ein Modell einer Rechenmaschine vor, die nicht nur addieren und subtrahieren konnte, sondern auch multiplizieren und dividieren. In den folgenden Jahren entwickelte er die Differential- und Integralrechnung. Ohne das von Leibniz beschriebene Dualsystem gäbe es keine Computer.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmete sich auch ein Beitrag im Dimensionen-Magazin am 11. November.

Leibniz beschränkte sich nicht auf die Theorie, er war ein Forscher mit Hang zum Abenteuer. Der Hofrat kraxelte durch die Bergwerke des Harzes und konstruierte Windmühlen zum Antrieb von Pumpen. Weil ihm das Schreiben in der wackligen Postkutsche schwerfiel, entwarf er bequeme Reisesitze und Kabinen. Stets hatte der Frühaufklärer das große Ganze im Blick: Seine nie vollendete Geschichte der Welfen im Auftrag des Hofes begann Leibniz mit einer Abhandlung über die Entstehung der Erde. Grundlage waren auch eigene Fossilien wie ein versteinerter Mammutzahn.

Hochachtung vor den Anderen

Leibniz hat nicht nur die Grundlagen für die digitale Welt gelegt, er war auch jemand, der den Ausgleich und Frieden suchte. Das zeigt sich in seiner Ethik: Leibniz ging davon aus, dass wir nur glücklich sein können, wenn auch die Mitmenschen glücklich sind. Die Empathie ist für ihn die Basis aller echten Menschenliebe - die Voraussetzung für ein harmonisches Zusammenleben, das von einem Verantwortungsgefühl für den Anderen geprägt ist.

Leibniz-Denkmal im Leibnizforum an der Universität Leipzig

Christian Hüller / Universität Leipzig

Leibniz-Denkmal im Leibnizforum an der Uni Leipzig

Dieser Andere ist aber nicht nur ein konkreter Mitmensch, sondern kann auch eine fremde Kultur sein – für die Leibniz hohe Achtung hatte. „Was mich an Leibniz ganz besonders fasziniert, ist sein tiefgreifendes Interesse am Anderen, am Fremden und sein Engagement für das Allgemeinwohl“, fasst es der chinesische Philosoph Wenchao Li von der Universität Hannover in einem science.ORF.at-Interview zusammen.

Leibniz’ Engagement für den Anderen beschränkte sich nicht nur auf Europa, sondern erstreckte sich auch auf andere Kulturen, etwa auf China. Er bezeichnete China als das „Europa des Ostens“ und brachte den Leistungen der chinesischen Gelehrten große Hochachtung entgegen.

Regte Österreichs Akademie an

Zwischen 1688 und 1714 reiste Leibniz siebenmal nach Wien, wo er enge Kontakte zum kaiserlichen Hof und zu Prinz Eugen von Savoyen unterhielt. In Wien entwickelte er auch die Idee einer fächerübergreifenden Gelehrtengesellschaft.

Auch wenn dieser Plan einer solchen „Sozietät der Wissenschaften“, den er Kaiser Karl VI. vorlegte, nicht gleich verwirklicht wurde, war er doch zentraler Anstoß für die Gründung der „Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften“ im Jahr 1847, der Vorläuferin der heutigen Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Auf Entwürfe und Überlegungen Leibniz’ geht die Gründung von drei weiteren Wissenschaftsakademien zurück: der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der früheren Königlich-Preußischen Sozietät der Wissenschaften, deren erster Präsident Leibniz war, der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig sowie der Russischen Akademie der Wissenschaften, die sich ursprünglich in St. Petersburg befand und heute ihren Sitz in Moskau hat.

Schriftzug von Leibniz

Leibniz-Gemeinschaft

Biografie von Leibniz

Geboren wurde Leibniz am 1. Juli 1646, er promovierte bereits mit 20 Jahren in Altdorf bei Nürnberg zum Doktor der Rechte. Bald darauf trug man ihm eine Professur an, die er jedoch ablehnte. Aufgrund verschiedener Empfehlungen trat er in den Dienst des geistlichen Kurfürsten von Mainz, Johann Philipp von Schönborn, der im politischen Leben der damaligen Zeit eine wichtige Stellung einnahm. Als Gesandter nützte Leibniz alle Möglichkeiten, seine Vorstellungen von den Aufgaben eines politischen Beraters in die Praxis umzusetzen. Seine politischen Ambitionen führten ihn auch nach Paris, wo er die Gelegenheit nützte, führende Wissenschaftler und Philosophen seiner Zeit kennenzulernen. Leibniz’ philosophische und wissenschaftliche Arbeit litt unter seinen zahlreichen Projekten und den politischen Beratertätigkeiten an verschiedenen europäischen Höfen. Zahlreiche kleinere Arbeiten erschienen zwar in Fachzeitschriften, eine zusammenfassende Darstellung kam jedoch nicht zustande. Nach längerem Leiden verstarb Leibniz am 14. November 1716.

Die Frage nach dem Keks

Trotz seines Universalgenies verbinden die meisten Menschen heute Leibniz mit einem Keks: Hermann Bahlsen, der deutsche Unternehmensgründer, brachte 1891 die „Leibniz Cakes“ auf den Markt und benannte sie nach dem berühmten Hofrat. Ein Geniestreich, denn noch heute ist das Leibniz-Keks eine Marke. Ende des 19. Jahrhunderts war es üblich, Lebensmittel nach bekannten Persönlichkeiten zu benennen. In Österreich am populärsten: die Mozartkugel.

science.ORF.at/dpa

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