Erfolgsrezept der Sherpas: Schweiß und Schufterei

Nepalesische Träger schleppen bei ihren Märschen durch den Himalaya gewaltige Lasten. Forscher haben nun versucht, das Geheimnis ihrer Zähigkeit zu lüften - und wurden nicht fündig. Fazit: Die Träger strengen sich extrem an, mehr ist da nicht.

Wer nach dem Besuch im Supermarkt bisweilen am Gewicht der prall gefüllten Einkaufstasche verzweifelt, dem sei zur Relativierung ein Blick auf den Alltag von Naturvölkern empfohlen. Etwa auf die Frauen der Kikuyu und Luo in Kenia. Sie tragen jeden Tag Lasten auf ihrem Kopf, die im Schnitt ein Fünftel ihres Körpergewichts ausmachen - und sie tun das mit einer Leichtigkeit, als wäre das noch nicht einmal mit Anstrengung verbunden.

Was in gewisser Hinsicht auch stimmt, zumindest im Vergleich zu Durchschnittseuropäern. Wie der belgische Physiologe Norman Heglund in den 90er Jahren herausfand, haben die Kikuyu und Luo nämlich eine spezielle Schritttechnik entwickelt, die es ihnen erlaubt Energie zu sparen. Die kenianischen Frauen konservieren von einem Schritt zum nächsten bis zu 80 Prozent der eingesetzten Energie, die Pendelbewegung ihres Ganges ist ein Lehrbuchbeispiel biomechanischer Ökonomie.

Experimente im Hochgebirge

Nun hat sich Heglund den unumstrittenen Meistern dieses Faches zugewandt: den Sherpas, Rai und Tamang, auf deren Schultern - im Wortsinn - der Erfolg so gut wie aller Himalaya-Expeditionen ruht.

Träger aus diesen nepalesischen Volksgruppen transportieren üblicherweise Material und Verpflegung vom Bergdorf Jiri in den Ort Namche - und absolvieren während des gut einwöchigen Marsches 8.000 Höhenmeter bergauf sowie 6.300 bergab. Wohlgemerkt bei dünner Luft und mit entsprechenden Lasten auf den Schultern. Im Schnitt schleppen professionelle Träger 146 Prozent ihres Körpergewichts, notierte die amerikanische Anthropologin Nancy Malville vor einigen Jahren in einer Studie.

Nepalesischer Träger, schwer bepackt mit aufgetürmten Kisten in einem Korb

Norman Heglund

Schwer bepackt: typische Last nepalesischer Träger

Angesichts dessen hätte Heglund erwartet, dass die nepalesischen Träger eine ähnlich ökonomische Schritttechnik entwickelt hätten wie die kenianischen Frauen. Um das zu überprüfen, reiste er ins Himalaya-Gebiet und führte auf dem Pfad nach Namche Experimente mit vorbeikommenden Trägern durch.

Das Ergebnis: Die Nepalesen sind zwar imstande erstaunlich schwere Körbe auf ihren Rücken zu transportieren, aber sie tun das mit einem unauffälligen Bewegungsablauf. „Sie machen dabei nichts Besonderes“, sagt Heglund. Anders ausgedrückt: Ihr Erfolgsrezept ist die pure Anstrengung.

„Machen es auf die harte Tour“

Wie Heglund im „Journal of Experimental Biology“ schreibt, waren die Träger mit drei bis vier Kilometern pro Stunden relativ langsam unterwegs und machten häufig Rast. Manchmal gingen sie bloß 15 Sekunden und legten danach eine 45-sekündige Pause ein. Das gemächliche Tempo behielten sie selbst dann bei, wenn sie spät dran waren und Gefahr liefen, das Material in Namche nicht fristgerecht abliefern zu können.

Wenn es einen Trick gibt, so das Fazit der Studie, dann die Vermeidung der Hast. Was aus Sicht der Wissenschaft auch sinnvoll ist: Ein Mangel an Pausen würde den Stoffwechsel über Gebühr belasten und in die kostspielige anaerobe Phase drängen.

Der Energiesparschritt der kenianischen Frauen, sagt Heglund, würde im Himalaya nicht funktionieren, weil die Nepalesen bei ihren Wanderungen kaum einen Schritt in der Ebene setzen. „Diese Kerle machen es einfach auf die harte Tour.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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