Kampf um die „richtige“ Erinnerung

Gedenkmuseen sollen an historische Verbrechen erinnern: Doch die Aufarbeitung des Kommunismus und Nationalsozialismus fällt in Osteuropa ambivalent aus - sie ist nicht selten einseitig, kritisiert die Politologin Ljiljana Radonić in einem Gastbeitrag.

Ljiljana Radonić

Ljiljana Radonić

Über die Autorin

Ljiljana Radonić verfasst ihre Habilitation über den Zweiten Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Akademie der Wissenschaften. Derzeit ist sie IFK_Research Fellow. Zuletzt gab sie gemeinsam mit Heidemarie Uhl das Buch „Gedächtnis im 21. Jahrhundert. Zur Neukonzeption eines kulturwissenschaftlichen Leitbegriffs“ heraus.

Als Ende 2015 in Polen die rechts-konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die Wahlen gewann, stoppte sie rasch das wenige Monate vor der Eröffnung stehende Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig, da es ihr zu international ausgerichtet und zu selbstkritisch war.

Der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński erklärte: „Wir werden das Konzept des Weltkriegsmuseums verändern, damit die Ausstellung den polnischen Standpunkt einnimmt. Die Erziehung junger Polen darf sich nicht auf das Gefühl der Scham stützen, wie das heute der Fall ist, sondern auf ein Gefühl von Würde und Stolz.“

Die liberale Vorgängerregierung hatte hingegen das von Kaczyńskis Bruder Lech 2004 in Warschau gegründete nationalistische Museum des Warschauer Aufstandes unangetastet gelassen.

Wie lassen sich solche Unterschiede in den größeren Zusammenhang des 1989 einsetzenden Wandels einordnen?

Neuschreibung der Geschichte nach 1989

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurden in den post-sozialistischen Ländern bestehende Museen völlig umgestaltet und viele neue gegründet. Welche Geschichte darin ausgestellt wurde und wie hing von mehreren Faktoren ab: der politischen Ausrichtung der jeweiligen Regierung, aber auch von europäischen Vereinheitlichungsprozessen und westlichen Musealisierungstrends, die im Zuge der EU-Osterweiterung von einigen Ländern als Vorbild begriffen wurden.

Raum der kleinen Aufständischen im Museum des Warschauer Aufstands

Ljiljana Radonić

Raum der kleinen Aufständischen im Museum des Warschauer Aufstands

Post-sozialistische Gedenkmuseen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: jene, die ihre westlich-europäische Orientierung im Umgang mit der Vergangenheit unter Beweis stellen wollen und einen Fokus auf individuelle Opfer von Verbrechen legen; und jene, die von „Europa“ die Anerkennung ihres Leidens unter dem Kommunismus verlangen, vordergründig Nationalsozialismus und Kommunismus symbolisch gleichsetzen, aber letztlich den Kommunismus als das größere Übel darstellen.

„Anrufung“ Europas

Zur ersten Gruppe gehören vor allem Museen in der Slowakei und Kroatien, beides Länder, die vor den 1990er Jahren einzig als NS-Kollaborationsregime existiert hatten.

Veranstaltungshinweis

Am 5.12. hält Ljiljana Radonić um 18 Uhr am IFK einen Vortrag zum Thema: „Der Zweite Weltkrieg und die Anrufung Europas in postsozialistischen Gedenkmuseen“

In beiden Ländern wurde ferner in den 1990er Jahren unter den autoritären Regierungen von Vladimir Mečiar in der Slowakei und Franjo Tuđman in Kroatien Geschichtsrevisionismus betrieben. Der verbrecherische Staat aus dem Zweiten Weltkrieg wurde dabei mehr oder weniger offen als Meilenstein auf dem Weg zur späteren Unabhängigkeit gesehen. Beide hinkten daher bei den EU-Beitrittsverhandlungen hinterher, sodass die Nachfolgeregierungen offenbar unter Druck standen, das „Europäisch-Sein“ ihres Landes unter Beweis zu stellen.

Diese Entwicklung schlug sich sowohl im Museum der Slowakischen Nationalaufstandes in der Zentralslowakei als auch im Jasenovac-Gedenkmuseum in Kroatien nieder. Beide waren bereits in den 1960er Jahren gegründet worden, eröffneten aber 2004 bzw. 2006 neue ständische Ausstellungen.

Museum des Slowakischen Nationalaufstands in Banská Bystrica

Ljiljana Radonić

Museum des Slowakischen Nationalaufstands in Banská Bystrica

Die slowakische Ausstellung trägt den Titel „Slowakischer Nationalaufstand – Teil des antifaschistischen Widerstands in Europa“ und betont die Vielzahl internationaler Teilnehmer des Aufstandes von 1944. „Europa“ kommt auf fast jeder Ausstellungstafel vor, denn, so der Museumsdirektor, man müsse die Interessenssphäre des Museums erweitern, „um in der Lage zu sein, europäischen Standards zu entsprechen“.

Museale Lippenbekenntnisse

Das kroatische Museum auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Jasenovac nennt als internationale Vorbilder das US-amerikanische Holocaust-Gedenkmuseum in Washington und die israelische Gedenkstätte Yad Vashem. Sein Fokus liegt diesen Beispielen folgend auf Einzelschicksalen der Häftlinge, deren Video-Interviews, Gegenständen und Fotos.

Doch diese „Anrufung“ Europas und „westlicher Standards“ bleibt ein bloßes Lippenbekenntnis, wenn nicht zugleich die Perspektive der Täterinnen und Täter, im Falle von Jasenovac der kroatischen NS-Kollaborateure der Ustascha-Bewegung, hinreichend kritisch beleuchtet wird.

Gleichsetzung der Regime

Zu der anderen Gruppe gehören baltische Okkupationsmuseen, aber auch das „Haus des Terrors“ in Budapest, in dem zuerst 1944 die „Pfeilkreuzler“ genannten NS-Kollaborateure und später die kommunistische Staatsicherheit ein Foltergefängnis unterhielten.

Haus des Terrors in Budapest

Ljiljana Radonić

Gleichsetzung der Symbole auf dem Dach des Haus des Terrors in Budapest

Dort dominiert auf symbolischer Ebene die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus, von rotem Stern und Hakenkreuz (bzw. dem „Pfeilkreuz“ im ungarischen Fall) oder von Hitler und Stalin.

Bei genauerer Analyse zeigt sich dann aber, dass der Pfeilkreuzler-Herrschaft im Budapester Museum nur zwei der über zwanzig Räume gewidmet sind und die kommunistischen Verbrechen nach 1945 als das größere Übel dargestellt werden.

Gegenstände von Gulag-Opfern im Museum der Okkupation Lettlands

Ljiljana Radonić

Gegenstände von Gulag-Opfern im Museum der Okkupation Lettlands

Im Museum der Okkupation Lettlands in Riga, das der sowjetischen und NS-Besatzung gewidmet ist, finden sich über 300 Gegenstände von Gulag-Opfern, jedoch keine von NS-Opfern. Was als Gleichsetzung beider Regime beginnt, endet als verkürzte Darstellung der NS-Zeit, um die kommunistische Ära als schlimmer darzustellen.

Eine kritische Auseinandersetzung mit den von der eigenen Wir-Gruppe begangenen Verbrechen lässt so ein Fokus auf „unsere“ Opfer kaum zu. Polen scheint sich im Moment in diese letztere Richtung zu entwickeln.

Ljiljana Radonić, IFK

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