Protestantische Länder bevorzugen Stillen

Stillen soll für Babys das Beste sein. Dennoch verzichten viele Frauen in westlichen Industrienationen darauf - laut Forschern besonders in traditionell katholisch geprägten Ländern. Die Protestanten setzen anscheinend eher auf Muttermilch.

„Breast is best“ - Muttermilch gilt heute als die optimale Nahrung für Babys. Stillen soll unter anderem die Abwehrkräfte stärken und die körperliche Entwicklung fördern. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Müttern weltweit, ihre Babys sechs Monate voll zu stillen, d.h., ausschließlich mit Muttermilch zu füttern. Bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr soll der Nachwuchs zumindest teilweise gestillt werden. In den allermeisten Ländern bekommt ein Großteil der Kinder - nämlich mehr als 90 Prozent - zu Lebensbeginn tatsächlich vor allem Muttermilch, schon allein aus praktischen Gründen: Sie ist immer verfügbar und kostet nichts.

In vielen westlichen Industrienationen allerdings kam das Stillen im 20. Jahrhundert aus der Mode. Eigens für Babys entwickelte Flaschenmilch lief dem Naturprodukt den Rang ab. Die Ersatzprodukte galten als gesund und fortschrittlich. Bis in die 1970er Jahre stillten in vielen reichen Ländern nur mehr zehn bis vierzig Prozent der Mütter ihre Babys. Erst nachdem zahlreiche wissenschaftliche Studien die gesundheitlichen Vorteile von Muttermilch gegenüber Flaschenmilch belegt hatten, begannen Gesundheitsbehörden wieder Stimmung für die natürliche Ernährungsweise zu machen, allerdings mit wechselhaftem Erfolg.

Unterschiedliche Akzeptanz

In manchen Industrienationen werden heute mehr als 95 Prozent der Babys gestillt, z.B. in Nordeuropa, schreiben die Forscher um Jonathan Y. Bernard vom französischem Forschungsinstitut Inserm in ihrer aktuellen Studie. In anderen blieb die Rate trotz aller Kampagnen deutlich unter 80 Prozent, z.B. in Spanien (76 Prozent), Frankreich (65 Prozent), Irland (46 Prozent) und Polen (71 Prozent).

Ob man sich für oder gegen Stillen entscheidet, hängt laut den Autoren von vielen Faktoren ab: Mit Sicherheit spielen medizinische Überlegungen und soziale Hintergründe wie z.B. die Bildung eine Rolle. Aber auch persönliche wie kulturelle Aspekte könnten die Entscheidung beeinflussen.

In ihrer statistischen Analyse haben die Forscher nun womöglich eine Erklärung für die Unterschiede zwischen den Nationen gefunden: Verantwortlich dafür könnte die Religion sein, genauer gesagt: die Art der christlichen Prägung.

In Ländern, die - zumindest historisch betrachtet - eher katholisch geprägt sind, wird weniger gestillt als in solchen mit protestantischem Hintergrund. Derselbe Unterschied fand sich auch innerhalb von Nationen, etwa in Frankreich, Irland, Großbritannien und Kanada, wo die Stillraten variieren, je nachdem, ob die Region traditionell katholisch oder protestantisch gefärbt ist.

Protestantischer Pragmatismus

Die Forscher betonen, dass es sich um eine reine Beobachtungsstudie handelt. Warum sich eine einzelne Mutter für oder gegen das Stillen entscheidet, lasse sich daraus nicht ablesen.

Dennoch wagen sie am Ende ihrer Studie eine Interpretation der Daten: Möglicherweise sind Protestanten von ihrer Grundhaltung her eher geneigt, wissenschaftliche Ratschläge anzunehmen und umzusetzen - man könnte auch von protestantischem Pragmatismus sprechen. Der Katholizismus sei allem Neuen gegenüber viel skeptischer, neue wissenschaftliche Empfehlungen werden daher weniger schnell umgesetzt. Das sei aber reine Spekulation.

Die Forscher empfehlen jedenfalls, in Zukunft mehr auf solche religiöse und kulturelle Hintergründe zu achten. Dann ließen sich Gesundheitskampagnen vielleicht erfolgreicher umsetzen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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