„Hygge“ schlägt Gemütlichkeit

Österreich und Dänemark sind in Größe, Einwohnerzahl und Wirtschaft recht ähnlich. Die dänische Forschungspolitik gilt aber als weit innovativer. Das liegt nicht unbedingt am Geld, meinen Experten, sondern eher an kulturellen Unterschieden: etwa am dänischen Hang zum Miteinander.

Und auch die skandinavische Behaglichkeit („hygge“) scheint kreativer zu machen als die österreichische Gemütlichkeit. Auch wenn es sich dabei um Stereotype handelt, finden sie in der Wirklichkeit ihren Niederschlag.

Dänemark knapp hinter Schweden

Warum sind Innovationen eigentlich so wichtig? Antwort und Mantra der Forschungspolitik lauten ungefähr so: Mehr Innovation bedeutet mehr neue Produkte; mehr neue Produkte sind gut für „die Wirtschaft“; und was gut für „die Wirtschaft ist, ist gut für uns alle“. Denn so gibt es mehr Arbeitsplätze und damit mehr Einkommen, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die wieder ausgegeben werden können.

Die Politik schielt deshalb gerne auf handfeste Daten, die die Forschungssysteme verschiedener Länder miteinander vergleichen. Eines der wichtigsten Instrumente ist der „Innovation Union Scoreboard“, den die Europäische Kommission alljährlich herausgibt.

Impressionen vom Kopenhagenaufenthalt

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

Die Rangliste bewertet acht Bereiche, darunter die Bildungs- und Ausbildungssituation der 28 EU-Mitgliedsstaaten, ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die Anzahl und Qualität von Patenten sowie deren wirtschaftlichen Auswirkungen. Anfang Mai ist die heurige Liste erschienen: Ganz vorne liegt Schweden, knapp gefolgt von Dänemark. Österreich ist an elfter Stelle, knapp über dem EU-Schnitt.

Wirtschaftsleistung ähnlich wie in Österreich

Steht Dänemark deshalb wirtschaftlich deutlich besser da als Österreich? Aus den meisten Kennzahlen lässt sich das nicht mit Ja beantworten. Die beiden Länder sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich: Sie haben eine ähnliche Wirtschaftsleistung pro Einwohner, eine ähnlich (niedrige) Zahl von Arbeitslosen, ähnliche Inflationsraten, Export- und Investitionsquoten. Und auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung liegen - relativ betrachtet - nahe beieinander. In zwei Bereichen gibt es aber große Unterschiede: Die öffentliche Verschuldung ist in Österreich mehr als doppelt so hoch wie in Dänemark. Und die Skandinavier zahlen noch mehr Steuern und Sozialversicherungsbeiträge als die Österreicher.

Impressionen vom Kopenhagenaufenthalt

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

Warum sind die Skandinavier vor diesem Hintergrund um so viel innovativer, wie das jüngste EU-Ranking wieder einmal gezeigt hat? Unter anderem diese Frage wollte eine Studienreise beantworten, die Mitte Juni 2015 auf Einladung von Austrian Cooperative Research (ACR) nach Kopenhagen führte.

Vertrauen, Effizienz, Geschwindigkeit

„Innovation bedeutet Zusammenarbeit. Und dazu braucht es Vertrauen. In Dänemark gibt es das in hohem Ausmaß. Wir sind eine sehr homogene Gesellschaft, in der es einfach ist zusammenzuarbeiten.“ So lautet der Erklärungsversuch von Thomas Bjerre vom Innovation Fund Denmark. Gegenseitiges Vertrauen sei in Dänemark ein Ausdruck der Kultur, und die finde sich auch beim Thema Innovationen wieder - etwa in der jahrelangen Zusammenarbeit von Universitäten und Unternehmen in Public-private-Partnerships.

Neben Vertrauen seien auch Effizienz und Geschwindigkeit entscheidend, meinte Bjerre gegenüber science.ORF.at. Mit einem Jahresbudget von 200 Mio. Euro fördert der Innovation Fund nebst großen auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU): Förderanträge bis rund 65.000 Euro können online gestellt werden, spätestens nach vier Wochen ist eine Entscheidung bekannt. „KMU haben nicht viel Zeit. Schnelle Entscheidungen sind für sie wichtig“, sagte Bjerre. Die Bewilligungsquote liegt momentan bei 50 Prozent.

„Innovationsagenten“ und Erfinderservice

Und wenn die Unternehmen nicht zu den Förderstellen kommen? Dann kommen die Förderstellen zu den Unternehmen: Ungefähr so lautet das Selbstverständnis eines Programms der dänischen Agentur für Wissenschaft, Technologie und Innovation. Dabei kontaktieren rund 40 "Innovationsagenten" landesweit KMU und loten deren Möglichkeiten für technologische Innovationen aus. Wenn es welche gibt und die Inhaber bereit dazu sind, stellen die „Innovationsagenten“ Kontakt mit Universitäten oder Forschungseinrichtungen her. 2,7 Mio. Euro stehen für diese „Kontaktbörse“ pro Jahr bereit, rund 60 Prozent der kontaktierten Unternehmen starten dann auch tatsächlich ein Innovationsprojekt, sagte der Programmleiter Knud Erik Hilding-Hamann vom Dänischen Technologieinstitut (DTI).

Eine ähnliche Richtung verfolgt ein weiteres Projekt des DTI: ein Erfinderservice für jedermann, das schon erstaunliche Erfolge gebracht hat. „Rund 5.000 Erfindungen werden bei uns pro Jahr eingereicht“, erklärte Teamleiter Kasper Munk. 1.000 von ihnen werden von den acht Experten des Programms als relevant eingeschätzt. Sie stellen Kontakt her zu Firmen, die sich für die Erfindungen interessieren könnten. Der Erfinder oder die Erfinderin (ein Viertel der Ideen stammt von Frauen) bekommt im positiven Fall Lizenzgebühren. „Zehn bis 15 Lizenzen werden so pro Jahr verkauft“, so Munk.

Das niederschwellige Erfindungs-Brokering habe schon einige Erfolge auf dem Markt erzielt: darunter eine künstliche Herzklappe und eine Tasche für Handbälle. Zehn Jahre gibt es das Erfinderservice bereits, die 16 besten Ideen haben laut Munk 1.000 Arbeitsplätze und einen Umsatz von 350 Mio. Euro geschaffen. Seit fünf Jahren gehen die „Erfinder-Finder“ an Schulen und Universitäten, um das Angebot dort noch bekannter zu machen.

„Hygge“: Behaglichkeit auch im dänischen Sommer

Die dänische Innovationsszene ist also ziemlich innovativ. An den wirtschaftlichen Kennzahlen alleine liegt das wie gesagt aber nicht. Dann vielleicht doch an der unterschiedlichen „Kultur“ der Länder? Ein Blick von außen, der beide Länder kennt, bestätigt das. „Hygge und Janteloven ist für die Dänen sehr wichtig“, erzählte Cosima Steiner, seit 2014 Wirtschaftsdelegierte der WKO in Kopenhagen.

„Hygge“: Das ist der dänische Begriff für Behaglichkeit und meint den Versuch, sich an den „kleinen Dingen“ des Lebens zu erfreuen. „Hygge“ hat aber nicht nur etwas mit dem Treffen von Freunden im Kerzenschein zu tun, es drückt sich auch in vielen anderen Lebensbereichen aus: etwa durch einen Hang zu Design, der sich bei Kinderspielzeug genauso wiederfindet wie bei Möbeln und Mode, die ausgeprägte Akzeptanz einer gesunden Work-Life-Balance („um 16 Uhr ist Büroschluss“) bis zum heiteren Umgang mit dem dänischen Sommer - der oft nicht über 17 Grad Celsius bei Nieselregen hinauskommen will.

„Janteloven“ statt Förderdschungel

„Janteloven“ wiederum ist kurz gesagt die dänische (und allgemein skandinavische) Eigenschaft, dass man sich nicht über andere stellen soll. Das wirkt sich laut Cosima Steiner auch auf das Geschäftsleben aus: Flache Hierarchien, kaum Krawatten und keine Titel, Begegnungen auf Augenhöhe und Interesse an der Meinungen anderer über Grenzen von Ländern oder Disziplinen hinweg seien Standard in Dänemark und Teile der Erklärung für das „Innovationsschlaraffenland“.

Übersicht über das dänische Fördersystem

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

Übersicht über das österreichische Fördersystem

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Das dänische und das österreichische Fördersystem

„Janteloven“ versteckt sich in gewisser Weise auch in der Struktur der Forschungsförderung Dänemarks. Auch wenn Thomas Bjerre vom Innovation Fund Denmark sie als „Förderstellendschungel“ bezeichnete, den es zu lichten gelte: Verglichen mit der Struktur in Österreich erscheint sie dem heimischen Beobachter eher wie ein französischer Garten (siehe Bilder links).

„Eine Vereinfachung nach dänischem Modell wäre wünschenswert“, meinte deshalb ACR-Geschäftsführer Johann Jäger in Kopenhagen. „Alle vom Ministerium geförderten F&E-Einrichtungen sind unter einem Dach, wodurch die Transparenz viel höher ist als in Österreich. Das erleichtert auch Abstimmungen untereinander und hilft, Mehrgleisigkeiten zu verhindern.“ Auch die „Innovationsagenten“ und das niederschwellige Erfinderservice der Dänen hält Jäger für nachahmenswert.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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