Gruppen berechnen und ein wenig steuern

Das Verhalten einzelner Personen vorauszuberechnen ist kaum möglich, in der Gruppe stellt sich die Sache anders dar. Mit mathematischen Ansätzen arbeiten Forscher an der Berechnung von Gruppen-Bewegungen, auch eine Steuerung der Massen ist denkbar.

„Die mathematische Modellierung von sozialen Dynamiken ist eine extrem große Herausforderung“, erklärte der chilenische Mathematiker Dante Kalise vom Johann Radon Institut für Numerische und Angewandte Mathematik (Ricam) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Linz im Gespräch mit der APA. Konzentriere man sich allerdings auf relativ wenige und einfache Regeln für die Interaktion zwischen Personen in größeren Gruppen, wie gegenseitige Annäherung, Distanzierung oder die Neigung zum Angleichen des Verhaltens, könne man in Simulationen komplexes Gruppenverhalten nachbilden.

„Wenn wir etwa ein Modell für die Bewegung von Gruppen von Menschen konstruieren, können wir davon ausgehen, dass die Individuen beispielsweise versuchen, sich voneinander weg zu bewegen, wenn die Abstände zwischen ihnen zu klein werden“, so der Wissenschaftler. Je nachdem, wie sehr die Bewegung der simulierten Gruppe dann beobachtetem realen Verhalten ähnelt, können die Forscher überprüfen, wann in etwa das richtige Maß zwischen Annäherung und Distanz erreicht ist.

Undercover-Lenkung

Der Mathematiker interessiert sich im Rahmen eines gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland, Italien, Frankreich oder den USA durchgeführten Projekts vor allem dafür, wie sich Gruppenverhalten durch externe Einflussfaktoren oder „Kontrollore“ verändert und gezielt beeinflussen lässt. Wie gut die Mathematik hier die Realität abbildet, lasse sich letztendlich in Experimenten überprüfen.

Ein solches haben Kalise und Kollegen in Rom durchgeführt: Die Wissenschaftler um Massimo Fornasier von der Technischen Uni München (TUM) beauftragten dabei zwei ungefähr 40 Personen umfassende Studentengruppen damit, ein bestimmtes Ziel in einem Gebäude zu suchen, das sie vorher nicht kannten. In eine Gruppe schleusten sie zwei informierte „Kontrollore“ ein, die sich jedoch nicht als solche zu erkennen geben durften. Lediglich dadurch, dass diese zielstrebig in eine von den Forschern vorgegebene Richtung gingen, konnte die Gruppe gelenkt werden. Laut den Forschungserkenntnissen reicht es aus, lediglich zwei bis drei Prozent solcher quasi „Undercover-Agenten“ einzusetzen, um auch sehr große Gruppen zu dirigieren.

Gefahr des Missbrauchs

Neben der Möglichkeit, Besuchermassen stressfreier durch Gebäude zu leiten, sei das Prinzip auch auf andere Bereiche übertragbar. Dazu gehöre auch das Verhalten von Investoren auf den Finanzmärkten oder die erwähnte Meinungsbildung. Hier zeigen die Modelle, dass es am effektivsten ist, sich auf die radikalsten Vertreter einer Auffassung zu konzentrieren. Gelingt es, diese zu überzeugen, ziehe die Gruppe mit.

„Bei allen denkbar positiven Anwendungsmöglichkeiten stellt sich natürlich auch die Frage des Missbrauchs“, so Fornasier in einer Aussendung der TUM. „Die gute Nachricht in diesem Zusammenhang ist, dass wir auch bewiesen haben, dass das Verhalten nicht für alle Typen von Dynamik und nicht in allen Situationen so leicht vorhauszusagen ist.“

science.ORF.at/APA

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