„Die Zukunft des Erinnerns“

Neues Haus, neues Konzept: Das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) ist umgezogen und hat nun mehr Platz. Dieser soll vor allem auch für öffentliche Diskussionen und Vermittlung genutzt werden. Heute, am internationale Holocaust-Gedenktag, wird weltweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.

Knapp neun Jahre lang befand sich das VWI in zwei kleineren Wohnungen im ersten Wiener Gemeindebezirk. Nun ist das Institut zusammen mit dem Simon Wiesenthal Archiv - es beherbergt die Dokumente und Zeugnisse seiner Arbeit - in ein neues Haus gezogen. Hier soll mehr Platz für Wissenschaftsvermittlung und öffentliche Diskussionen sein.

Wiesenthals Idee

„Vergessen öffnet die Türe für die Wiederholung der Geschichte“, war eines der Leitmotive des Holocaust-Überlebenden Simon Wiesenthal, der zeitlebens versuchte, die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuklären und die Täter vor Gericht zu bringen. Er war getrieben vom Streben nach Gerechtigkeit. Darüber hinaus sah er es als Pflicht der Überlebenden des Holocaust an, die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges an nächste Generationen weiterzugeben, „damit sie daraus lernen können“.

Eingang des neuen Wiesenthal Instituts

VWI

Eingang des neuen Wiesenthal Instituts

„Er wusste jedoch, dass das, was er machte - aufdecken und die Täter vor Gericht bringen -, nicht mehr zeitgemäß war. Zumal viele der Täter sowie Opfer nicht mehr lebten“, sagt der Geschäftsführer des Wiesenthal Instituts, Béla Rásky.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmete sich auch ein Beitrag im Morgenjournal am 27.1. um 8.00 Uhr.

Ausstellung „Zukunft des Erinnerns“

Erinnerung musste demnach anders stattfinden. Noch vor seinem Tod im Jahr 2005 entwickelte Wiesenthal mit österreichischen und internationalen Wissenschaftlern die Idee für ein Institut, in dem neben der Dokumentation auch die Erforschung und Vermittlung des Holocaust Raum haben sollte. Im neuen Haus am Rabensteig 3 im Vergnügungsviertel Bermudadreieck soll sich dieses Konzept nun verwirklichen und vor allem die Öffentlichkeit stärker einbezogen werden. So gibt es erstmals auch eine Ausstellung „Die Zukunft des Erinnerns“, die über die Arbeit Wiesenthals sowie die Geschichte des Instituts erzählt.

Sie befindet sich direkt neben dem Eingang und bildet somit das Fundament des Hauses und auch der wissenschaftlichen Arbeit, die hier geleistet wird, erklärt einer von zwei Ausstellungskuratoren, Werner Michael Schwarz: „‚Die Zukunft des Erinnerns‘ ist in dem Sinn zu verstehen, dass sie Voraussetzung dafür ist, eine Wiederholung zu verhindern und auch um Forschung in diesem Zusammenhang zu betreiben.“

Wiesenthal-Porträt in den neuen Räumlichkeiten des VWI

VWI

Wiesenthal-Porträt in den neuen Räumlichkeiten

Dieses Fundament erschöpft sich dabei in Filmen, digitalisierten Dokumenten und Erinnerungsstücken, die von den Erfolgen und Misserfolgen Wiesenthals erzählen. „Einer seiner größten Misserfolge war mitunter 1963 der Freispruch Franz Murers, der Schlächter von Vilnius, der zum Schluss ein durchaus angesehenes Leben als ÖVP-Bezirksbauernvertreter in einer kleinen Gemeinde in der Steiermark führte“, so Schwarz. In diesem Zusammenhang sieht man Bilder aus dem Leben Murers und die öffentliche Auseinandersetzung Wiesenthals mit diesem Fall.

Im letzten, lichtdurchfluteten Raum wiederum werden die Titel bisheriger Forschungen des Wiesenthal Instituts angebracht - die Brücke zur aktuellen Erinnerungsarbeit.

Offen für andere Themen

Neben klassisch-historischen Auseinandersetzungen mit dem Holocaust beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer wieder mit anderen Genoziden wie beispielsweise jenem in Ruanda Mitte der 1990er Jahre, mit Diskriminierung von Homosexuellen und Fällen von Fremdenfeindlichkeit.

„Solche alternativen Fragestellungen sind entscheidend, um sich weiterzuentwickeln. Und es reduziert nicht die Tragik des Holocaust, wenn man sich gegenüber anderen Themen öffnet - das sagte schon Wiesenthal“, so Rásky. Dabei profitiere man vor allem von den neuen Ansätzen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die als Fellows für jeweils ein Jahr in Wien forschen.

Offener Diskurs

Abgesehen von der Forschung baut das Wiesenthal Institut darauf auf, ein nicht wissenschaftliches Publikum zu erreichen und öffentliche Veranstaltungen im eigenen Haus auszurichten - sofern es die Räumlichkeiten zulassen, denn ein großer Vortragssaal fehlt, bedauert Rásky. „Es ist eine große Aufgabe, die uns noch bevorsteht, wirklich gute Ideen in diesem Bereich zu entwickeln, wie wir die Menschen erreichen können.“ Auch Aktionen im öffentlichen Raum sind geplant: „Es ist wichtig, auch zu provozieren“, ergänzt der Historiker.

Blick ins neue Institut

VWI/Sandro Fasching

Blick in die Austellung

Dass man sich offen zeigen will, nach draußen gehen und Menschen einladen möchte, wird auch durch die große Glasfront am Eingang des neuen Instituts unterstrichen. Auf eine Hochsicherheitstür und Sicherheitskontrolle wollte man dennoch nicht verzichten.

Historisches Datum

Dass die neuen Räumlichkeiten einen Tag nach dem internationale Holocaust-Gedenktag am Freitag eröffnet werden, ist wohl kein Zufall. Mit zahlreichen Veranstaltungen in Europa wird der Opfer der systematischen Vernichtung durch die Nationalsozialisten gedacht. Auf dem Gelände des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau versammeln sich Überlebende des Lagers, das am 27. Jänner 1945 - also vor genau 72 Jahren - von Soldaten der Roten Armee befreit wurde.

Unter der Herrschaft der Nazis waren dort mindestens 1,1 Millionen Menschen vergast, zu Tode geprügelt oder erschossen worden oder an Krankheiten und Hunger gestorben. Im deutschen Bundestag wird in einer Gedenkstunde der Millionen Opfer des Nazi-Regimes gedacht.

Seit 1996 wird auf Anregung des damaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog am 27. Jänner in Deutschland der NS-Opfer gedacht. 2005 riefen die Vereinten Nationen diesen Tag zum internationalen Holocaust-Gedenktag aus.

Österreicher „Opfer, aber auch Täter“

Der Gedenktag war auch Thema bei der Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen: Er sprach am Donnerstag von der dunkelsten Seite österreichischer Geschichte. Millionen Menschen seien in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet worden, so der neue Bundespräsident - „Österreicher gehörten zu den Opfern, aber auch zu den Tätern“.

In Österreich wird heute auch vor einer neuerlichen Zunahme von Intoleranz und Antisemitismus gewarnt: „Wir müssen solchen Tendenzen mehr denn je entschieden entgegentreten“, sagte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitag in einer Aussendung. „Der Antisemitismus steigt“, warnte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, im Ö1-Morgenjournal. „Antisemitismus darf nicht wieder Oberhand nehmen in Europa“, so Deutsch. „Der Wind ist rauer geworden, der Fremdenhass ist größer geworden.“

Das Erinnern hat kein Ende

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte am letzten Tag seiner Amtszeit: „Wir können, was geschehen ist, nicht ändern oder rückgängig machen. Uns ist aber Auftrag und Verpflichtung die Erinnerung an den Zivilisationsbruch der Schoah, das Gedenken an die Opfer und die Verantwortung, die uns heute daraus erwächst.“ In einer Welt, „die uns unsicher, ruhelos und ungeordnet vorkommen mag“, sei die Geschichte Lehre, Mahnung und Ansporn zugleich - „das Erinnern hat kein Ende und darf es auch nicht haben“.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini fordert vor dem Holocaust-Gedenktag mehr Engagement für ein friedliches und vielfältiges Europa. Zum 60. Jubiläum der Römischen Verträge müsse man junge Leute daran erinnern, dass Frieden und Vielfalt nicht selbstverständlich seien, sagte sie gestern in Brüssel.

Netanjahu: Warnung vor Aufflammen des Antisemitismus

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu nahm den Tag zum Anlass, vor einem gefährlichen Aufflammen des Antisemitismus in der westlichen Welt zu warnen. „Man sieht es in den europäischen Hauptstädten, es ist einfach unglaublich“, sagte Netanjahu bei einer Veranstaltung in Jerusalem.

Wegen des Sabbats war das Gedenken in Israel vorgezogen worden. Netanjahu sieht als größte Gefahr für Israel allerdings weiterhin den Iran, wie er vor Repräsentanten aus aller Welt in der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem sagte. Dieser ruft nach den Worten Netanjahus offen zur Zerstörung Israels auf.

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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