Militärische Altlasten am Meeresgrund

Seit über 70 Jahren rosten schätzungsweise mehr als eine Million Tonnen Waffen und Munition aus den beiden Weltkriegen in Nord- und Ostsee, mit unklaren Folgen für die Umwelt. Welches Risiko von den Altlasten ausgeht, wird nun untersucht.

Krieg zerstört nicht nur Menschenleben, er kann auch die Umwelt zerstören und das selbst dann, wenn die letzte Schlacht bereits Jahrzehnte zurückliegt. Über eine Million Tonnen chemischer Waffen und konventioneller Munition wurden laut Schätzungen während des Ersten und Zweiten Weltkriegs in der Nord- und Ostsee entsorgt. Laut Umweltschützern schädigen giftige Inhaltsstoffe, die aus der verrosteten Munition austreten, Meeresbewohner und Umwelt. Ein von der EU finanziertes Forschungsprojekt soll nun feststellen, welches Risiko tatsächlich für die Umwelt besteht.

Munition über weite Strecken verstreut

Zwölf internationale Forschungseinrichtungen sind seit vergangenem August im Rahmen eines Projekts namens DAIMON damit beschäftigt, die Auswirkungen der Kriegsaltlasten zu untersuchen. „Keiner kann Ihnen genau sagen, was da drin ist, wieviel genau wo lagert oder um welchen Typ von Munition es sich handelt“, beschreibt Matthias Brenner vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung das Problem.

Überreste eines Torpedos im Meer

Decision aid for marine munitions (DAIMON)

Altlast im Meer: Torpedo aus dem Jahr 1947

Die Orte, an denen während der beiden Weltkriege Munition entsorgt wurde, seien zwar gut dokumentiert, die Kapitäne hätten damals aber oft bereits am Weg dorthin begonnen, ihre brisante Fracht abzuladen. Auch Kampfflugzeuge auf dem Rückzug hätten Munition als Ballast abgeworfen. Dazu komme, dass Munition in der Nordsee durch Strömungen und Stürme vertragen werden kann, so der Biologe.

Die Munition enthält eine Mischung verschiedenster Stoffe wie etwa Arsen oder den Sprengstoff TNT. Um festzustellen, welche Auswirkungen die Kampfstoffe auf Meereslebewesen haben, werden Plattwürmer und Muscheln im Labor ausgewählten Substanzen aus der Munition ausgesetzt. Auch in den betroffenen Gebieten werden Fische und Muscheln gesammelt und untersucht. Dabei soll ihr Gesundheitszustand mit dem von Organismen aus unbelasteten Gebieten verglichen werden.

Eine Frage des Geldes?

Lange wurde die Munition am Meeresboden für unbedenklich gehalten. Nun interessiert man sich vor allem aus wirtschaftlichen Gründen für das Thema. Immer wieder verzögert sich der Bau von Pipelines und Offshore-Windparks durch den Fund alter Munition, die aufwendig geborgen werden müsse. Ziel des DAIMON-Projekts sei es daher auch, „Daten zu liefern für die Frage, was kostet es die Munition zu bergen und was kostet es, sie liegen zu lassen“, sagt Brenner.

Terry Long von der Nichtregierungsorganisation IDUM sieht hingegen unmittelbaren Handlungsbedarf. Er warnt davor, dass die Munitionshüllen im Salzwasser bereits stark korrodiert seien und immer größere Mengen schädlicher Kampfstoffe ins Meer gelangen. Wenn die Munition einmal durchgerostet sei, gäbe es keine Möglichkeit mehr, ihren Inhalt zu bergen, so der ehemalige Militärtechniker.

Umweltfreundlich unschädlich machen

Was nach der Bergung mit der Munition zu tun sei, darüber herrscht Uneinigkeit. Bisher wurde sie meist durch Sprengung vernichtet. Das sei aber aufgrund der Lärmbelastung und der Emissionen, die bei der großen Menge an Munition entstehen, schädlich für die Umwelt, so Matthias Brenner. „Alle sind sich einig, dass man eine emissionsfreie Bergung anstreben müsste – nur dafür gibt es keine Technik.“

Ein Forschungsteam des deutschen Geomar Zentrums für Ozeanforschung arbeite gerade daran, eine Lösung für das Problem zu finden, die nicht noch mehr Schaden anrichtet, sagt Brenner. Terry Long sieht in der angeblich fehlenden Technik nur einen Vorwand dafür, die Munition nicht sofort zu bergen. Seiner Meinung nach existieren bereits umweltfreundliche Methoden, die Munition unschädlich zu machen. Er ruft dazu auf, zusammenzuarbeiten und die Munition so schnell wie möglich zu entfernen.

Lena Hallwirth, Ö1 Wissenschaft

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