„Ice Bucket Challenge“ & Co: Nur ein Strohfeuer

Die „Ice Bucket Challenge“ hat mehr Menschen erreicht als jede Internetkampagne zuvor. Schon kurz nach dem Hype war aber wenig übrig an Aufmerksamkeit und Spendenbereitschaft.

Auf einen Schlag Millionen Menschen zu erreichen, war noch nie so einfach wie heute - soziale Medien wie Facebook machen es möglich. Hilfreich sind ein paar Prominente, die den Anfang machen. Ist der Ball erst einmal losgetreten, läuft das Ganze fast von selbst. Wie das geht, hat die „Ice Bucket Challenge“ im Sommer 2014 eindrucksvoll vorgezeigt. Das Prinzip war denkbar simpel: Sich selbst mit einem Kübel Eiswasser überschütten, sich dabei filmen lassen, das Video hochladen und drei bis vier andere nominieren, es einem innerhalb von 24 Stunden gleichzutun.

Aktionismus mit Sinn

Hinter der vordergründig sinnlosen Aktion stand ein ernsthafter Hintergrund: mehr Aufmerksamkeit für die unheilbare Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose ALS, an der unter anderem der berühmte Physiker Stephen Hawking leidet. Als Urheber der Kampagne gilt der ebenfalls an ALS erkrankte ehemalige US-Baseball-Star Peter Frates. Wer sich mit Wasser überschüttete, sollte gleichzeitig zehn Euro an die US-amerikanische ALS Association (ALSA) spenden. Wer sich den Guss ersparen wollte, erhöhte einfach auf 100 Euro oder mehr.

Die Studie

„The nature of viral altruism and how to make it stick“, Nature Human Behaviour, 13.2.2017

Und alle wollten dabei sein: Schauspieler, Popstars, Sportler, Politiker und Fernsehmoderatoren - Prominente und Semiprominente rund um den Globus rissen sich um den eiskalten Guss (Liste prominenter Teilnehmer). Andere spendeten zum Ausgleich öffentlichkeitswirksam größere Summen. Ungefähr 440 Millionen Menschen hat die Kampagne erreicht, 28 Millionen haben selbst mitgemacht. Mehr als 100 Millionen Euro wurden gesammelt. Damit wurden bereits einschlägige Forschungsprojekte finanziert.

Doppelt so hell, halb so lang

Ein beachtlicher Erfolg, aber was ist davon geblieben? Das fragt auch der Sozialpsychologe Sander van der Linden von der University of Cambridge in seiner aktuellen Arbeit. Die ernüchternde Antwort: nicht viel.

Die Kampagne gleiche der sprichwörtlichen Flamme, die zwar doppelt so hell, aber nur halb so lang brennt, schreibt der Forscher. Schon nach wenigen Wochen hätten die öffentliche Aufmerksamkeit und die Spendensummen dasselbe Niveau wie vor der Aktion erreicht. Zudem handelte es sich laut van der Linden manchmal nur vordergründig um Engagement. Etwa einer von vier Teilnehmern hat ALS in seinem Video gar nicht erwähnt und nur einer von fünf sprach von Spenden. Jene, die die Krankheit zumindest erwähnt hatten, spendeten häufiger tatsächlich Geld.

Auch der Versuch, im Sommer 2015 an den Erfolg anzuschließen, endete enttäuschend: Weniger als ein Prozent der Rekordsumme aus dem Vorjahr wurde gesammelt.

Fehlende innere Motivation

Dass viraler Altruismus - wie van der Linden das Phänomen nennt - eine sehr kurze Halbwertszeit hat, zeigen auch andere soziale Kampagnen, wie etwa die Organspende-Initiative von Facebook. 60 Prozent aller Registrierungen erfolgten in den ersten zwei Tagen nach dem Launch, danach ebbte das Interesse rasant ab. Ähnlich erging es der „Save Darfur“-Kampagne auf Facebook. Die meisten Unterstützer haben niemals Geld gespendet oder weitere Teilnehmer angeworben.

Van der Linden analysiert den anfänglichen Erfolg solcher viralen Initiativen: Zu Beginn entsteht sozialer Druck, man möchte ein Teil der guten Sache sein. Hinzu komme der moralische Imperativ, z.B. wenn man sieht, wie Betroffene unter ALS leiden. Begleitet werde das Ganze von starken Gefühlen: Empathie sei ansteckend, und das Gefühl, etwas Gutes zu tun, erfülle einem mit innerer Wärme.

Aber - und das ist laut dem Sozialpsychologen der entscheidende Punkt - das alles sind mehr oder weniger äußere Anreize. Erst wenn etwas zum inneren Anliegen wird, das nicht an soziale Bedingungen geknüpft ist, wird sich der einzelne nachhaltig für etwas engagieren. An diesem Übergang von äußerer zu innerer Motivation scheitern virale Kampagnen letztlich. Mehr noch: Kampagnen, die wie Wettbewerbe daherkommen, stehen einem Erfolg sogar im Weg, meint van der Linden. Der Wunsch „zu gewinnen“ sei dann oft wichtiger als die Sache selbst.

Langsam, aber nachhaltig

Das Problem liege in der viralen Ausbreitung. Um echtes Engagement zu fördern, müsste man die „hyper-virale“ Natur solcher Kampagnen vermutlich bremsen. „Wenn wir wollen, dass sich Menschen aus innerer Überzeugung für eine Sache einsetzen, müssen wir ihnen genug Zeit dafür geben“, so der Forscher in einer Aussendung.

Als positives Beispiel nennt er die „Movember“-Bewegung, bei der sich Männer weltweit im November einen Bart wachsen lassen. Das Ziel: mehr Aufmerksamkeit für männliche Gesundheitsprobleme. Die Kampagne startet 2003 mit nur 30 Männern und wuchs langsam, aber stetig. Heute gibt es über fünf Millionen Teilnehmer, Jahr für Jahr werden es mehr. 542 Millionen Euro wurden in den letzten 13 Jahren gesammelt.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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