Zufrieden im Prekariat?

Auch Universitäten sind heute von Prekarisierung betroffen. Befristete Teilzeitstellen gehören für den wissenschaftlichen Nachwuchs zum Standard. Aber trotz ihrer unsicheren Zukunft sind viele Wissenschaftler zumindest relativ zufrieden mit dem Arbeitsumfeld.

Während ein klassisches Normalarbeitsverhältnis Absicherung, Partizipationsmöglichkeiten und Aufstiegschancen bereithält, ist Prekarität von Unsicherheit und Lücken in der Erwerbsbiographie gekennzeichnet. „Man muss aber zwischen atypischer und prekärer Beschäftigung unterscheiden“, erklärt Jörg Flecker, Professor für Soziologie an der Universität Wien. Als „atypisch“ gelten alle Arbeitsverhältnisse, die vom klassischen Normalarbeitsverhältnis abweichen, also nicht Vollzeit, unbefristet oder nicht sozialversichert sind. Darunter fallen Teilzeit, geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit, Neue Selbstständige und WerkvertragsnehmerInnen. In Österreich ist bereits ein Drittel der unselbständig Beschäftigten atypisch beschäftigt.

Ö1 Sendungshinweis

Prekarisierung ist auch das Thema der Radiokolleg-Reihe „Working Poor“ am Donnerstag, 09.03.2017 um 9:05.

Von prekären Beschäftigungsverhältnissen spricht man, wenn der Arbeitsplatz unsicher ist, die Arbeit schlecht bezahlt wird und der arbeitsrechtliche Schutz nur teilweise gegeben ist. „Das Kernproblem der Prekarisierung ist die Unsicherheit und die soziale Verwundbarkeit“, so der Soziologe Jörg Flecker. Diese Entwicklungen würden den sozialen Zusammenhalt gefährden. Der Sozialphilosoph Oskar Negt spricht in diesem Zusammenhang von zwei Realitäten, die sich herausgebildet hätten: die Realität derer, die gesicherte Stellen haben mit akzeptabler Bezahlung und mit der Aussicht, in diesem Beschäftigungsverhältnis zu bleiben, und die Realität derjenigen, die befristete beschäftigt sind, niedrige Einkommen haben oder als Selbstständige nicht einmal die Zeit finden, Urlaub zu nehmen.

Prekarität in der Wissenschaft

Auch an den Universitäten hat sich solch ein System der zwei Realitäten herausgebildet. Für den sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchs sind befristete Teilzeitstellen mittlerweile Standard. „Universitäten sind Systeme höchster Prekarisierung geworden“, sagt der Soziologe Hartmut Rosa, Direktor des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt. Wissenschaftliche Tätigkeit ist auf das Erlangen einer Professur ausgerichtet. Doch bis dahin reiht sich oft ein befristetes Arbeitsverhältnis an das nächste. „Man muss permanent kämpfen, um nicht aus dem System zu verschwinden“, so Hartmut Rosa. Die Logik des Systems erzeuge Prekarisierung und Unvorhersagbarkeit.

Studie

„Prekär, aber glücklich?“, Medienpädagogik – Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, Juli 2016

An den öffentlichen Universitäten in Österreich gibt es rund 2.500 Professorinnen und Professoren. An die 37.000 Personen zählen zum akademischen Mittelbau der Universität, der UniversitätsdozentInnen, AssistenzprofessorInnen, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, Senior Scientists, LektorInnen und Lehrbeauftragte umfasst. Sie lehren und forschen an den Universitäten, betreuen Diplom-, Master- und Bachelorarbeiten, und sind die tragenden Säulen für die an Hochschulen geleistete Arbeit. Im Gegensatz zu den Professorinnen und Professoren sind die Beschäftigten des Mittelbaus zumeist befristet tätig und arbeiten auf Teilzeitbasis. Rund 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals befinden sich laut Wissenschaftsministerium in befristeten Beschäftigungsverhältnissen.

Prekär beschäftigt, aber trotzdem glücklich?

Das „Jungen Netzwerk Medienpädagogik“ hat eine Umfrage unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs des Fachbereichs Medienpädagogik durchgeführt. An die 80 Personen haben daran teilgenommen. Der Großteil der Befragten befindet sich in befristeten Dienstverhältnissen und arbeitet Teilzeit. Im Durchschnitt sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter in einem Stellenumfang von rund 70 Prozent beschäftigt.

„Doch im Gegensatz zu anderen prekären Beschäftigungen wird die Arbeit als Wissenschaftler gesellschaftlich anerkannt und genießt einen hohen sozialen Status“, sagt Valentin Dander, einer der Studienautoren. Und es gebe die Möglichkeit, sich zu organisieren. Viele würden die prekären Verhältnisse in Kauf nehmen, da sie sich stark mit der Tätigkeit als Wissenschaftler identifizieren und dadurch eine starke innere Motivation haben. Das ist auch in den Umfrageergebnissen erkennbar. So schätzen die Befragten die Möglichkeiten zum selbstbestimmten Arbeiten und sind mit ihrem sozialen Arbeitsumfeld zufrieden. Unzufrieden waren die Antwortenden jedoch in Bezug auf die Planbarkeit der Karriere und ihre aktuelle berufliche Sicherheit.

Die Identifikation und die intrinsische Motivation seien eine mögliche Erklärung warum relativ wenig über die Prekarisierung in der Wissenschaft gesprochen werde, so Valentin Dander. Auch wenn sich die Studienergebnisse nicht verallgemeinern ließen, würden sie doch eine Tendenz aufzeigen und im Einklang mit bisherigen Ergebnissen stehen.

Im Vertrags-Dickicht

Die zunehmende Prekarisierung betrifft nicht nur die Universitäten. Viele Unternehmen würden mittlerweile auf eine Kernbelegschaft fokussieren, sagt der Jurist und Soziologe Nikolaus Dimmel. Diese hat gut abgesicherte Arbeitsverhältnisse. Außen herum gibt es einen Kreis an Mitarbeitern, die befristete Verträge mit einer schlechteren Bezahlung haben. Und in einem dritten Kreis befinden sich Projektmitarbeiter und Arbeitnehmer, die über Personalleasing punktuell hinzugezogen werden.

„Beschäftigung wird dadurch volatil“, so der Soziologe. Außerdem unterbinden Unternehmen auf diesem Weg eine Organisation der ArbeitnehmerInnen über den eigenen konzentrischen Kreis hinaus. „Das wird von Unternehmen auch strategisch genutzt“, sagt Nikolaus Dimmel. So seien etwa bei Opel Rüsselsheim in Spitzenzeiten in ein und demselben Werk 47 verschiedene Tarifvertragsanwendungen implementiert gewesen.

Juliane Nagiller, Ö1 Wissenschaft

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