Der Cheflektor des Übertreibungskünstlers

Raimund Fellinger hat das Werk von Thomas Bernhard lektoriert - am Rande einer Konferenz in Wien sprach er über Bernhards beste Beschimpfungen, die Mär der musikalischen Sprache und die Un-Möglichkeit der Übersetzung.

science.ORF.at: Thomas Bernhard hat in einem Gespräch mit Krista Fleischmann gesagt: „Ein übersetztes Buch ist wie eine Leiche, die bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde.“ Ist das berechtigte Skepsis oder bloß Koketterie?

Zur Person

Raimund Fellinger ist Cheflektor der Verlage Suhrkamp und Insel und gibt unter anderem die Schriften von Thomas Bernhard, Peter Handke, Uwe Johnson und Peter Sloterdijk heraus.

Am 28. März hielt Fellinger bei einer Konferenz an der Akademie der Wissenschaften einen Vortrag. Titel der Veranstaltung: „Ein übersetztes Buch ist wie eine Leiche“ - Übersetzer antworten Thomas Bernhard.

Raimund Fellinger: Bernhard sagte in dem Gespräch dann noch: „Die Übersetzung hat mit dem Original nichts zu tun. Sie ist das Buch des Übersetzers.“ Ich würde das nicht Koketterie nennen, sondern ein Abschieben der konkreten Resultate des Übersetzers. Bernhard wollte ja auch, sie kennen diese Sätze bestimmt, „ausstrahlen, und zwar weltweit“, „jeder Satz ein Treffer“ und: „eine totale Weltrevolution“. Wenn man nicht davon ausgeht, dass die ganze Weltbevölkerung Deutsch spricht, muss man schon ein bisschen Vertrauen in die Übersetzung haben. Bernhard ist hier typisch zweischneidig, er stellt sich in zwei widersprüchliche Traditionen. Die eine: Jedes Buch ist unübersetzbar. Die andere: Es ist doch übersetzbar.

Wenn das Unterfangen prinzipiell zum Scheitern verurteilt wäre, hätte man ihn nicht in 45 Sprachen übersetzt.

Es heißt ja nicht zufällig Über-Setzung. So wie man von einem Flussufer zum anderen übersetzt. Übersetzer sind Schwellenkundler. Die Übersetzungsleistung besteht nicht darin, gut Deutsch und Französisch zu können. Sie entsteht an der Schwelle. Es geht um die Fähigkeit zu vermitteln. Damit Übersetzungen von einem Verlag in Auftrag gegeben und dann entsprechend rezipiert werden, braucht es natürlich auch einen Kontext: Die Welt ist seit 30 Jahren anscheinend so beschaffen, dass sie Bernhard-Texte goutiert. Entweder wegen des Inhalts - das wird ja fälschlich oft auf Begriffe wie „Verwesung“ und „Tod“ runtergekocht. Oder wegen seines Stils und seiner langen Satzbögen.

Schriftsteller Thomas Bernhard am Fenster stehend

Thomas Bernhard Nachlassverwaltung / CC BY-SA 3.0

Skandalautor mit „formvollendeter k.u.k.-Höflichkeit“

In Spanien ist Bernhard bis heute ein vielgelesener Autor. Ist das so, weil seine mäandernde, musikalische Sprache gut zur Natur des Spanischen passt?

So geht die Mär. Ich glaube nicht daran. Es ist ja selbst im Deutschen nicht klar, ob man seine Sprache als musikalisch bezeichnen soll. Musik drückt nichts Aussprechliches aus.

Wenn man zum Beispiel „Alte Meister“ liest, gewinnt man schon den Eindruck, dass er Themen einführt und dann seitenlang variiert - wie in der Musik.

Metaphorisch kann man über alles reden. Aber es geht um Sätze, die etwas sagen, nicht um Töne. Den Unterschied muss man schon machen: Musik kann nicht über Musik reden. Sprache kann über Sprache reden - und über Musik auch.

Walter Benjamin hat einmal geschrieben: Übersetzungen sind wie Arkaden, durch deren Bögen Licht auf das Original fällt. Muss eine gute Übersetzung durchsichtig sein?

Man könnte Benjamin auch so interpretieren, dass die Zielsprache eine Perspektive auf die Originalsprache eröffnet oder ein Echo der Originalsprache hervorruft. Das beruht allerdings auf der messianischen Vorstellung, dass es eine Ursprache gab, die alle vorhandenen Sprachen heute noch vereint. Wen ich das alles so zusammensehe, wird mir Benjamins Übersetzungskonzeption suspekt. Und wenn ich meine eigene Tätigkeit als Lektor betrachte, wird sie mir noch suspekter: Wenn eine Übersetzung in der Zielsprache nicht funktioniert, dann kann man es gleich sein lassen.

Wie ist das mit der Distanz zum Text: Kann es dem Lektor passieren, dass die dauernde Lektüre auf die Psyche abfärbt?

Wenn man keine Distanz hat, kann man alles Mögliche werden, Psychotherapeut zum Beispiel - „sich in andere hineinfühlen“, Migrationsbeauftragter - „das Fremde im eigenen“, aber sicher nicht Lektor. Ein Lektor muss alles, was ihm im Text entgegentritt, distanziert begutachten. Er muss davon ausgehen, dass jedes Komma falsch sein kann.

Man könnte trotzdem die These vertreten, dass einen Bernhard-Lektüre zum fröhlichen Misanthropen macht.

Eher zum lustigen Ironiker. Aber um ehrlich zu sein, wenn das bei mir so wäre - ich habe ja auch andere Autoren als Bernhard lektoriert - dann wäre ich wohl eine multiple Persönlichkeit und müsste gleich in die Geschlossene. Man darf das nicht so an sich ranlassen. Der Autor bekommt einen Vertrauensvorschuss, ansonsten braucht es Kritik, äußerste Kritikfähigkeit.

Übersetzungen: Bücher von Bernhard in verschiedenen Sprachen

Czepel/ORF

Bernhard wurde in 45 Sprachen übersetzt

Wie war Bernhard persönlich?

Anekdötchen gibt’s von mir keine. Ich kann nur sagen: Er war von einer formvollendeten k.u.k.-Höflichkeit.

Persönlich umgänglich - aber sobald an der Schreibmaschine: ein Berserker?

Ja, da spricht nichts dagegen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er im Klappern der Schreibmaschine zu kichern begonnen und dann ganze Passagen durchgelacht hat.

Durchaus Anlass zum Lachen liefert auch die kürzlich erschienene Bernhard-Kompilation „Städtebeschimpfungen“. Wie kam es dazu?

Buch

Die „Städtebeschimpfungen“ sind 2016 bei Suhrkamp erschienen. ISBN: 978-3-518-46074-0

Wer die Sammlung der Bernhard’schen Beleidigungen im geografischen Kontext lesen mag, kann das auf Google Maps tun.

Die Städtebeschimpfungen ziehen sich durchs gesamte Werk. Das beginnt schon mit einem Text aus dem Jahr 1955 - „Salzburg wartet auf ein Theaterstück“. Der hat ihm übrigens den ersten Prozess eingebracht. Wegen Ehrenbeleidigung, wie das, glaube ich, auf Österreichisch heißt. Städte haben sich für dieses Buch angeboten, weil sie im Gegensatz zum Land eine eigene Individualität haben. Wenn die Städte ein gutes Marketing hätten, würden sie jetzt schreiben: Wir wurden von Thomas Bernhard beschimpft! Das wäre doch eine Markenpflege. Die drei am häufigsten beschimpften Städte sind Salzburg, Wien und Augsburg. Da hört man nichts. Gut, wie man im Fall von Augsburg auf „Lechkloake“ reagieren sollte, weiß ich auch nicht. Früher gab es natürlich einen Riesenaufstand. Den habe ich in diesem Buch auch dokumentiert.

Wann muss man als Lektor in einen Text eingreifen?

Da gibt’s keine befriedigende Antwort. Im Stück „Heldenplatz“ werden die Sozialisten bekanntlich beschimpft - in der französischen Übersetzung heißen sie allerdings, wie ich heute gelernt habe, „Wiener Sozialisten“, denn die französischen Sozialisten wollte man natürlich nicht beschimpfen. Das hätte ein anständiger französischer Lektor streichen müssen.

Zu ihren Autoren zählen neben Bernhard auch Handke, Johnson, Sloterdijk. Wer war am schwierigsten?

Ich habe überhaupt keine schwierigen Autoren. Ich habe nur liebenswürdige, entgegenkommende, nie fordernde Autoren!

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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