In Brüssel regieren nicht mehr die klassischen Lobbys

Der Einfluss klassischer Lobbyisten wirtschaftsnaher Gruppen in der EU ist geringer als angenommen. Erfolgreicher seien in Brüssel mittlerweile Konsumenten- und Umweltschutzgruppen, berichtet ein Salzburger Politikwissenschaftler in einer neuen Studie.

Andreas Dür, Professor für Internationale Politik an der Universität Salzburg, hat in einem internationalen Projekt zwischen 2011 und 2016 den Einfluss von Interessensgruppen in der EU untersucht.

70 Gesetzesvorschläge untersucht

Mit einem internationalen Team hat er systematisch Daten zu 70 Gesetzesvorschlägen der Europäischen Kommission sowie zu mehr als 1.000 Interessensgruppen zusammengetragen. „Wir haben Präferenzen der Interessensgruppen erhoben und diese mit dem Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens verglichen“, erklärte Dür in einer Aussendung des Wissenschaftsfonds FWF, der das Projekt gefördert hat.

Es zeigte sich, dass Wirtschaftsgruppen bei ihrem Versuch, die Entscheidungsfindung in der EU zu beeinflussen, weit weniger erfolgreich waren als erwartet. Sie seien sogar weniger erfolgreich als zivilgesellschaftliche Gruppen, die breite Interessen wie Umwelt- oder Konsumentenschutz verfolgen.

Binnenmarkt erreicht

Die Gründe dafür liegen laut Dür in der aktuellen Phase der europäischen Integration. Bis in die 1990er-Jahre sei es in der EU vorrangig um die Etablierung des Binnenmarktes gegangen. „Dieses Ziel hatte absolute Priorität. Jetzt ist es erreicht“, so der Politikwissenschaftler.

Für die Institutionen wie die Kommission oder das Parlament stelle sich damit die Frage, woraus sie weiterhin Autorität beziehen könnten. Im Gegensatz zu nationale Regierungen könnten sie etwa nur sehr eingeschränkt Gelder umverteilen. Daher würden sie auf spürbare Bereiche wie Umwelt- oder Verbraucherschutz fokussieren.

Wirtschaft hat Konkurrenz bekommen

Als Beispiel nennt Dür den massiven Widerstand der Telekommunikationskonzerne gegen die Abschaffung der Roaming-Gebühren. Dieser Widerstand habe den Prozess gebremst und verzögert, ihn im Endeffekt aber nicht gestoppt. Für den Politikwissenschafter ist dies ein klassisches Beispiel, in dem sich die EU-Kommission auf die Seite der Konsumenten stellte.

Das sei aber kein Einzelfall, ähnlich verhalte es sich etwa mit den Themen Finanzdienstleitungen oder Datenschutz. „Das sind Bereiche, in denen die Institution beweisen kann, dass sie einen Sinn und einen Zweck hat: Sie ist konsumentenfreundlich, umweltfreundlich und weitet gleichzeitig ihre Regulierungsmöglichkeiten aus“, so Dür.

Nach wie vor seien die Wirtschaftsinteressen in Brüssel viel präsenter als alle anderen. Aber sie würden sich einer erfolgreichen Konkurrenz gegenüber sehen und seien nicht mehr so erfolgreich.

Dür räumt ein, dass Konsumenten- und Umweltschutzorganisationen selbst Lobbyisten sind. Sie würden aber anders als die wirtschaftsnahen Gruppen mobilisieren: „Sie setzen durchaus auf Emotion, sie treten als Opposition auf, sie lancieren Kampagnen in der Öffentlichkeit.“

Lobbyingregister fehlt

Aufgrund der Studienergebnisse ortet Dür „eine Politisierung der Europäischen Union. Wir erleben den Widerstreit der Interessen deutlicher als zuvor.“ Was es noch brauche, sei ein verpflichtendes Lobbyingregister wie in den USA, das wäre ein Schritt zu mehr Transparenz.

Die Auflagen für Lobbyisten in Brüssel sind nicht zuletzt angesichts mehrerer Wechsel von Ex-Kommissaren in die Privatwirtschaft - zuletzt etwa die Tätigkeit des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso für die US-Investmentbank Goldman Sachs - immer wieder Gegenstand von Diskussionen.

Die EU-Kommission von Präsident Jean-Claude Juncker hat im September ein verbindliches Transparenzregister für Lobbyisten in allen drei EU-Organen - Europäisches Parlament, Rat und Kommission - vorgeschlagen. Bisher gibt es nur eine freiwillige Registrierung, die Voraussetzung dafür ist, wenn Lobbyisten bestimmte Vertreter der EU-Kommission und des EU-Parlaments treffen wollen.

science.ORF.at/APA

Mehr zu dem Thema: