Künstliche Gebärmutter könnte Frühchen helfen

Babys, die extrem verfrüht auf die Welt kommen, überleben meistens nicht lange. Eine künstliche Gebärmutter könnte ihnen helfen. Diese haben US-Forscher nun entwickelt – und mit Lämmern erfolgreich getestet.

Die Lämmer befinden sich dabei in einer Art Biobeutel, der mit einer Flüssigkeit gefüllt ist. Ihre Nabelschnur ist mit einer Maschine verbunden, die Sauerstoff und alle lebensnotwendigen Nährstoffe liefert. Das System funktioniere prinzipiell gut, sagte Alan Flake, Spezialist für Frühgeburten am Kinderspital in Philadelphia und Hauptautor einer soeben erschienenen Studie. Zwar gebe es noch eine Reihe von Komplikationen, die eine Anwendung beim Menschen derzeit verbieten. „Aber das System ist anderen Methoden, die die Spitäler heute extremen Frühgeburten anbieten, potenziell weit überlegen.“

Katrin Klebermass-Schrehof, Neonatologin am Wiener AKH und nicht an der Studie beteiligt, hält die Arbeit für einen Fortschritt in Richtung einer künstlichen Plazenta. Zahlreiche Probleme würden aber weiterbestehen, der Schritt vom Schaf zum Menschen sei noch ein großer.

Illustration der künstlichen Plazenta

Children's Hospital of Philadelphia

Illustration der künstlichen Gebärmutter

Kritische Gesundheitssituation

Üblicherweise dauert eine Schwangerschaft bei Menschen 40 Wochen. Unter Frühgeburten versteht man Kinder, die jünger sind als 37 Schwangerschaftswochen, unter extremen Frühgeburten jene, die jünger sind als 28. Besonders kritisch ist die Gesundheitssituation von Babys, die nach weniger als 25 Wochen Schwangerschaft zur Welt kommen: Sie haben ein Durchschnittsgewicht von nur 400 bis 1.000 Gramm, zwei Drittel von ihnen sterben laut früheren Studien, nur knapp ein Fünftel überlebt ohne neurologische Entwicklungsstörungen.

Vor allem die Lunge ist zu diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft noch nicht ausgereift und für das selbstständige Atmen nicht bereit. Die US-Forscher haben deshalb nach einer Möglichkeit gesucht, solch extremen Frühchen ein möglichst natürliches Umfeld außerhalb des Mutterleibs anzubieten, und zwar nur als „Überbrückungshilfe“ für ein paar Wochen, denn ab der 28. Schwangerschaftswoche sinkt das Risiko gesundheitlicher Schäden deutlich – mit Hilfe der aktuell erfolgreich angewandten Methoden wie z. B. Brutkästen.

Acht Lämmer im Biobeutel

Nach vielen Vorversuchen testeten Flake und seine Kolleginnen ein ausgereifteres System an acht Lämmern, die nach einer Tragzeit von 105 bis 120 Tagen per Kaiserschnitt geboren wurden. Ihr Entwicklungsstand entsprach etwa dem von Frühchen im Alter von 23, 24 Wochen. Die Forscher schlossen die Nabelschnur der Lämmer dann schnellstmöglich über Kanülen an eine künstliche Plazenta an und betteten die Lämmer in einen Beutel, den Biobag. Dieser wurde mit künstlich erzeugtem Fruchtwasser gefüllt, das beständig ausgetauscht wurde.

„Fötale Lungen sind dafür gemacht, in Flüssigkeit zu funktionieren“, erläuterte Mitautor Marcus Davey. „Wir simulieren diese Umgebung und erlauben den Lungen und anderen Organen, sich zu entwickeln, während wir Nährstoffe und Wachstumsfaktoren bereitstellen.“ Innerhalb des Biobeutels lassen sich sterile Bedingungen aufrechterhalten, Infektionen könnten so verhindert werden. Zudem seien andere Faktoren wie Temperatur, Druck und Lichtbedingungen kontrollierbar.

System ohne Pumpe

Das Herz der Lämmer pumpte das Blut selbstständig über die Nabelschnur nach außen zu einer Maschine, die die Aufgabe der Plazenta übernahm. Sie tauscht Sauerstoff und Kohlendioxid aus, bevor das Blut zum Fötus zurückfließt. Es sei wesentlich, dass das System ohne Pumpe auskomme, schreiben die Forscher. Dadurch verringere sich das Risiko, dass das winzige kindliche Herz durch einen Überdruck geschädigt wird. Einige der beteiligten Wissenschaftler halten ein Patent auf so ein „extrakorporales Lebenserhaltungssystem“.

Die acht Lämmer blieben knapp drei, vier Wochen in dem Beutel - ohne ersichtlichen Schaden zu nehmen. Die Tiere öffneten die Augen, schluckten Fruchtwasser, bekamen ein Fell und wuchsen altersentsprechend. Während ihrer „Beutelzeit“ entwickelten sie einen normalen Schlaf-Wach-Rhythmus und machten insgesamt einen wohlbehaltenen Eindruck, schreiben die Forscher. Es gab einige Komplikationen, schwere Schäden an Herz oder am Gehirn wurden aber nicht festgestellt.

Ein Frühchen in einem üblichen Brutkasten

Children's Hospital of Philadelphia

Ein Frühchen in einem üblichen Brutkasten

Bei Menschen frühestens in zehn Jahren

Die Forscher betonen, dass ihre Versuche nicht unmittelbar auf menschliche Frühchen übertragen werden können. Diese sind zum Beispiel deutlich kleiner als Lämmer zu einem vergleichbaren Entwicklungszeitpunkt, das System müsse daran angepasst werden. Auch die Gehirnentwicklung verläuft beim Menschen anders. Fraglich sei bisher auch, wie die Verknüpfung zwischen Nabelschnur und Maschine bei menschlichen Babys erfolgen könnte. Flake schätzt, dass es noch etwa zehn Jahre dauern wird, bis extreme Frühchen auf diese Weise versorgt werden könnten.

Zielgruppe seien Babys, die zwischen der 23. und 25. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen sind. Sie arbeiteten nicht daran, Überlebensmöglichkeiten für immer kleinere Frühchen zu schaffen, so die Forscher. Vielmehr sollten die Bedingungen für diejenigen Frühgeborenen verbessert werden, die auch heute schon in den Kliniken versorgt werden.

Wollen Eltern so etwas?

Dass Eltern möglicherweise Probleme hätten, ihr Baby in einem Beutel aufbewahrt zu sehen, ist den Forschern bewusst. Die Alternative sei, das Baby an einer Beatmungsmaschine im Brutkasten zu versorgen. „Wir glauben, dass es Eltern beruhigen wird zu wissen, dass sich ihr Kind in einer relativ schützenden und physiologischen Umgebung befindet“, schreiben die Wissenschaftler. Das System könne so angepasst werden, dass sich die Eltern mit ihrem Baby verbunden fühlen - über Ultraschall, Kameraaufnahmen und die Möglichkeit, mütterliche Herztöne und andere Umgebungsgeräusche vorzuspielen.

Klebermass-Schrehof hält es für möglich, dass Eltern mittelfristig auf ein solches System zurückgreifen würden, wenn das System erfolgreich weiterentwickelt wird. Generell gibt sie sich bei der Beurteilung des neuen Systems vorsichtig. Zwar hält sie es für einen „entscheidenden Schritt in Richtung künstlicher Plazenta/Gebärmutter“. Sie verweist aber auch auf die Risiken des Biobeutels, etwa „oxidativer Stress und daraus resultierende Organschädigung, Entwicklungsverzögerung und unklare Auswirkungen auf die Langzeitentwicklung“.

science.ORF.at/dpa

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