Viele Wege führen nach oben

Passaggio: So heißen Übergänge zwischen Stimmhöhen, etwa von Brust- zur höheren Kopfstimme. Forscher haben nun untersucht, was dabei genau geschieht. Eine High-Speed-Minikamera im Kehlkopf zeigte, wie verschieden die Wege sind, die „nach oben führen“.

Die Teilnehmerinnen der Studie hatten es dabei nicht ganz leicht: Zehn Profi-Sopranistinnen wurde mittels Endoskop eine kleine Kamera in die Nase eingeführt. Eine leichte örtliche Betäubung sorgte für Beschwerdefreiheit, und dann begannen die Sängerinnen zu singen.

„Unsere Methode ist die beste und am wenigsten störende, die es momentan gibt, um die Schwingung der Stimmlippen zu beobachten“, sagt der Stimmforscher Christian Herbst von der Universität Wien. Das laut seiner Aussage Einzigartige: Die Kamera machte 20.000 Bilder pro Sekunde und klärte die Vorgänge im Kehlkopf – in dem die Stimmlippen bis zu 1.000 Mal pro Sekunde schwingen – in bisher unerreichter Genauigkeit.

Video: die Stimmlippen beim Schwingen

Stimmlippen schwingen unterschiedlich

Vereinfacht ausgedrückt entsteht im Kehlkopf Schall, wenn die Stimmlippen in Kontakt geraten – ähnlich wie beim Klatschen mit den Händen. „Wichtig ist dabei die Dauer des Stimmlippenkontaktes während eine Schwingungszyklus“, erklärt Herbst. Innerhalb eines Gesangsregisters schwingen die Stimmlippen über eine Serie von Tönen auf die gleich Weise. An den Übergängen zum nächsten Register – etwa von Brust- zu Kopfstimme bzw. Falsett – ist das nicht notwendigerweise der Fall.

Beim Jodeln sind diese Brüche Teil des Programms, bei guten klassischen Sängern und Sängerinnen hingegen hört man diese plötzlichen Wechsel zwischen verschiedenen Stimmtimbres nicht. Oder korrekter: Ungeübte Ohren hören die Übergänge nicht, geübte können das sehr wohl, wie die Studie zeigte.

Herbst und seine Kollegen vom Freiburger Institut für Musikermedizin ließen die Sängerinnen jeweils zwei Glissandi singen, also gleitende Veränderungen der Tonhöhe, etwa vom kleinen a zum eingestrichenen a. Profimusiker hörten sich diese Stimmproben an und konnten die Registerwechsel teilweise ziemlich genau feststellen. Wie die Auswertung der High-Speed-Videodateien zeigte, entspricht das der Art, wie sich die Schwingungsmuster der Stimmlippen im Kehlkopf geändert haben.

Aus der Studie stammende Tonbeispiele, oben ein besser, unten ein weniger gelungenes Glissando:

Individuellere Gesangsausbildung?

„Das hat uns überrascht“, sagt Christian Herbst gegenüber science.ORF.at. „Selbst erfahrene Sängerinnen, die auf großen Bühnen singen, zeigen teilweise diese Änderungen in der Schwingungsmechanik.“ Ebenso verblüffend sei es gewesen, dass die Änderungen nicht bei allen gleich waren. Herbst und sein Team zählten vier Varianten, mit denen die Sängerinnen beim Singen mechanisch „nach oben kamen“.

Und das könnte in Zukunft Folgen haben für die Gesangsausbildung. Denn offenbar passen die verschiedenen Lehrrezepte nicht für jedermann und jede Frau. „Das könnte vielleicht erklären, warum manche Sängerinnen bei einer Lehrerin Erfolg haben und andere nicht, wenn nur mit reinem Imitationslernen gearbeitet wird“, sagt Herbst. Seine Studie könnte die Grundlage sein für eine individuellere Pädagogik, die letztlich gesünder und auch kostengünstiger wäre.

Dafür seien aber weitere Studien mit viel mehr Teilnehmern und Teilnehmerinnen nötig, betont der Stimmforscher. Ebenso noch Utopie – mit künftigen Methoden und Erkenntnissen der Stimmforschung aber denkbar: aus der Anatomie des Kehlkopfs schließen, welches Stimmfach eine Sängerin oder ein Sänger haben wird.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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