Verschränkung bei 30-facher Erdbeschleunigung
Die Quantenphysik und die Relativitätstheorie sind wohl die zwei wichtigsten Säulen der modernen Physik. Sie basieren aber auf Konzepten, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Angestrebt wird, in einer zukünftigen Theorie alle physikalischen Vorgänge auf ein Grundprinzip zurückzuführen und auch diese beiden Theorien mit einzuschließen. Bisher verlief die Suche nach einer solchen Theorie, die alle Kräfte im Universum beschreibt und deshalb auch als „Weltformel“ oder „Theorie von Allem“ bezeichnet wird, allerdings ergebnislos - auch weil es bisher an Experimenten am Übergang zwischen Quantenphysik und die Relativitätstheorie mangelte.
Die Studie
„Experimental test of photonic entanglement in accelerated reference frames“, Nature Communications, 10.5.2017
Genau solche Versuche haben Physiker des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie den Universitäten Wien und Queensland durchgeführt. Sie haben untersucht, ob das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung auch im freien Fall und bei hohen Beschleunigungen - und damit bei relativistisch relevanten Bedingungen - bestehen bleibt. „Es ist das erste Experiment, das es in diese Richtung gibt“, erklärt Rupert Ursin, Forschungsgruppenleiter am IQOQI, gegenüber der APA.
Im freien Fall
Verschränkung nennt sich in der Quantenphysik ein Zustand von zwei Teilchen, die über beliebig große Distanzen miteinander verbunden bleiben. Sind etwa Lichtteilchen (Photonen) verschränkt, dann bewirkt die Messung des Zustandes eines der beiden Teilchen, dass das andere augenblicklich genau den gleichen Zustand einnimmt - wie zwei Würfel, bei denen zum Messzeitpunkt der eine automatisch die gleiche zufällige Augenzahl anzeigt wie der andere.
IQOQI/ÖAW
Albert Einstein tat das Phänomen verächtlich als „spukhafte Fernwirkung“ ab. Seine Existenz ist aber in zahllosen Experimenten belegt und wird von den Physikern beispielsweise für verschiedene Quantenkommunikations-Experimente genutzt. Weil sie die Technologie dafür mittlerweile sehr gut beherrschen, konnten die Physiker ein Verschränkungs-Experiment sehr kompakt und robust bauen. Die Quelle für verschränkte Photonenpaare, die notwendigen Detektoren, Batterie, Computer, etc. passt in einen Behälter von der Größe zweier Bierkisten.
Diese Box ließen Ursins Doktorand Matthias Fink und Kollegen am Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik der Technischen Universität Dresden im freien Fall aus zwölf Meter Höhe auf Matratzen fallen. „Wir konnten den Versuch ohne Probleme zehn Mal wiederholen, was uns genug statistische Daten für die Publikation lieferte“, zeigte sich Fink über die Robustheit der Technologie begeistert.
In der Zentrifuge
Zudem setzten sie die Box in einer großen Materialzentrifuge in Ranshofen (OÖ), in der üblicherweise Flugzeugbauteile getestet werden, der 30-fachen Erdbeschleunigung aus. Während des freien Falls und während der Zentrifugalbeschleunigung wurde laufend die Güte der Verschränkung gemessen und per W-LAN übertragen.
IQOQI/ÖAW
Im stationären Betrieb im Labor sind bei einem solchen Versuch von 1.000 verschränkten Photonenpaaren zehn bis zwanzig nicht verschränkt. „Genau diese Güte sehen wir auch in beiden Beschleunigungsexperimenten“, sagte Ursin. Das heißt, dass unter den untersuchten Bedingungen die Güte der Verschränkung nicht eingeschränkt ist. Die Obergrenze des Einflusses von relativistisch relevanten Beschleunigungen liegt somit bei der 30-fachen Erdbeschleunigung.
Die Wissenschaftler wollen nun den Aufbau noch wesentlich stabiler machen, damit der Behälter weit höheren Belastungen standhält. Ursin nennt etwa Möglichkeiten mit speziellen Zentrifugen, mit denen man eine millionenfache Erdbeschleunigung erzeugen kann. Selbst bei einer solchen Beschleunigung ist es nicht sicher, ob man Auswirkungen auf die Verschränkung sehen würde, „aber irgendwann versagen die beiden Theorien bei der Beschreibung von Phänomenen vollständig, spätestens am Level des Planck’schen Wirkungsquantum“, so Ursin. Um dorthin zu gelangen, würde man allerdings gigantische Teilchenbeschleuniger benötigen.
science.ORF.at/APA