Hoffen auf die Eisheiligen

Im Winter hat es auf den Gletschern Österreichs wenig geschneit, im April und Mai dann ergiebig. Die Bilanz fällt daher gemischt aus, wie Heinz Slupetzky und Andrea Fischer berichten – „verspätete Eisheilige“ könnten den Gletschern jedenfalls guttun.

Im Kernwinter, Dezember bis Jänner, fiel um 40 Prozent weniger Niederschlag, es war besonders an der Alpensüdseite der trockenste Winter seit 20 Jahren. Zwischen Oktober 2016 und Mitte April 2017 war es zumeist zu trocken, daher gab es deutlich unterdurchschnittliche Schneemengen auf den Gletschern, besonders an der Alpensüdseite.

Porträt von Heinz Slupetzky und Andrea Fischer

Slupetzky/Fischer

Biografien und Links der Autoren

Heinz Slupetzky ist Professor i. R. am Fachbereich Geografie und Geologie der Universität Salzburg. Er war Leiter der Abteilung für Gletscher- und vergleichende Hochgebirgsforschung sowie der Hochgebirgs- und Nationalparkforschungsstelle Rudolfshütte.

Andrea Fischer ist Gletscherforscherin am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Ihr Hauptforschungsgebiet sind Gebirgsgletscher und deren Änderung im Klimawandel.

Für science.ORF.at führen Heinz Slupetzky und Andrea Fischer seit 2003 ein Gletschertagebuch - in diesen Jahren ging es mit dem Gletschereis stetig bergab, ein Ende des Trends ist nicht abzusehen.

„Der März war mit 3,5 Grad Celsius der wärmste der Messgeschichte“, gleichzeitig war er niederschlagsarm. „Selbst oberhalb von 1.000 Meter Seehöhe gab es nördlich des Alpenhauptkamms um fünf bis 50 Prozent weniger Neuschnee als im Mittel und an der Südseite der Alpen um 30 bis 60 Prozent weniger“, bilanziert der Klimatologe Orlik von der Zentralanstalt für Meteorologie (ZAMG) in Wien.

Erst die starken Schneefälle in der zweiten Aprilhälfte verbesserten die Situation im Hinblick auf die winterliche Schneeakkumulation auf den Gletschern. An der Wetterstation Rudolfshütte (2.300 Meter) in den Hohen Tauern wurden z. B. vom 27. bis 29. April in Summe 106 Zentimeter Neuschnee und vom 2. bis 10. Mai 75 Zentimeter gemessen. Der Schneepegel zeigte am 9. Mai mit 2,44 Meter den höchsten Wert im Winterhalbjahr, er lag 63 Zentimeter über dem langjährigen Mittel.

Stubacher Sonnblickkees vom 16.5.17

M. Maislinger

Stubacher Sonnblickkees, aufgenommen am 16.5.2017

Es besteht aber immer noch „Nachholbedarf“. Nach wie vor sind die Schneehöhen knapp im Bereich des langjährigen Mittels, an den Gletschern südlich des Alpenhauptkammes liegen sie deutlich darunter.

Immerhin schneite es in den Hohen Tauern am 14. und 15. Mai bis 2.200 Meter herab – bei der Station Rudolfshütte lag ein Zentimeter - auf den Gletschern wird es mehr gewesen sein, womit die Abschmelzung des Winterschnees etwas verzögert wurde. Mit dem warmen Wetter zu Wochenmitte setzte die Schneeschmelze voll ein.

Sollten die „Eisheiligen“ zur statistisch häufig auftretenden Zeit mit Kaltlufteinbrüchen im letzten Maidrittel zwischen 20. und 25. Mai (und nicht datumgemäß 12. bis 15. Mai) eintreffen, würde sich das positiv auf die Winterbilanz und damit auf die Abschmelzzeit auswirken (Temperaturen im Mai in den letzten 50 Jahren).

Stürme und Lawinen

Am 4. März gab es Neuschnee bei orkanartigen Stürmen, und damit extreme Schneeverfrachtung auch auf und von den Gletschern. Zum Teil fehlt dieser Schnee als Schneeakkumulation. Es kam in den folgenden Tagen zu vielen Lawinenereignissen, in denen die Schneedecke auf den Gletschern teilweise bis aufs Eis hinunter abging (etwa am Jamtalferner).

Diese Grundlawinen konnten sich aufgrund der geringen Schneehöhe während der ersten Hälfte des Winters bilden, denn große Temperaturunterschiede innerhalb der Schneedecke führten durch die Bildung von Tiefenreif zu einer bodennahen, mächtigen, lockeren Schneeschicht - eine Schwachschicht/Sollbruchstelle -, an der die gesamte darüber liegende Schneedecke abgleiten konnte. Im lange weitgehend schneefreien Süden wiederum blieben die Lawinen aus, die normalerweise Schnee von den umliegenden Berghängen auf die Gletscher transportieren.

Schneeverfrachtung durch starke Stürme

G. Aigner

Schneeverfrachtung durch starke Stürme

Die Lawinenereignisse des März werden sich im Sommer auswirken: An Stellen, an denen der Schnee abgerutscht ist, wird die Eisschmelze früher beginnen, an den Ablagerungsflächen wird das Eis länger geschützt sein.

Schneehöhen Anfang Mai am Stubacher Sonnblickkees

An diesem Gletscher im Weißseegebiet an der Nordseite des Alpenhauptkammes der Hohen Tauern wurden am 2. Mai 2017 4,5 Meter sondiert, dieser Wert liegt genau im langjährigen Durchschnitt (aber das sind um 1,25 Meter mehr als im Vorjahr mit 3,25 Meter!).

Grafik der Schneehöhen auf dem Stubacher Sonnblickkees

Grafik: W. Gruber

Im langjährigen Mittel steigt die Null-Grad- Grenze Ende Mai/Anfang Juni über 3000 Meter, mit dem starken Anstieg der Lufttemperatur setzt auf den ganzen Gletschern die Schneeschmelze und damit der Abbau der winterlichen Schneedecke ein.

Situation auf den anderen Gletschern in Österreich

Die Akkumulation blieb heuer weitgehend unter dem langjährigen Mittel, nur gebietsweise lag annähernd durchschnittlich viel Schnee.

Am Jamtalferner in der Silvretta ergaben die Messungen zum 1. Mai eine durchschnittliche Schneehöhe von 2,92 Meter. Damit liegt etwa zehn Prozent weniger Schnee als im langjährigen Schnitt, aber um 25 Prozent mehr als im Vorjahr zur selben Zeit. Der Aufbau der Schneedecke erfolgte sehr zögerlich, erst Anfang Februar lag mehr als ein Meter Schnee an der Station bei der Jamtalhütte.

Seither allerdings pendelt die Schneehöhe zwischen 1 und 1,5 Metern, die Verhältnisse sind eher winterlich als frühsommerlich. Zwischen März und Mitte Mai entsprachen die Schneemengen fast dem langjährigen Durchschnitt.

Am Vernagtferner in den Ötztaler Alpen liegt nur zwei Drittel des Schnees eines durchschnittlichen Winters, wie Christoph Mayer von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften berichtet. „Das ist rund ein Viertel weniger als im letzten Jahr“.

Messung der Schneehöhe auf dem Stubacher Sonnblickkees

G. Aigner

Messung der Schneehöhe auf dem Stubacher Sonnblickkees

Am Mullwitzkees an der Südseite des Nationalparks Hohe Tauern liegt etwa 1 bis 1,5 Meter (etwa ein Viertel) weniger Schnee als im Mittel der letzten zehn Jahre.

Noch drastischer ist der Schneemangel weiter im Süden, am Eiskargletscher in den Karnischen Alpen, wie Gerhard Hohenwarter berichtet: „Vor den letzten Schneefällen hatten wir für die Winterbilanz (November bis April) aber ein Niederschlagsdefizit von fast 50 Prozent. Mit dem fehlenden Schneeintrag durch Lawinen verdoppelt sich dieser Wert für den Gletscher. Die letzten Schneefälle haben die Situation mit einem Zuwachs von rund 200 bis 250 Millimeter Niederschlag am Eiskar etwas entschärft.“

Für das Goldbergkees und das Kleinfleisskees in den Hohen Tauern berichtet ZAMG-Gletscherforscher Bernhard Hynek von „leicht unterdurchschnittliche Schneehöhen“.

Die Gletscher in Südtirol und in der Schweiz

In Südtirol liegt trotz der Niederschläge Ende April vor allem in den südlichen Landesteilen wenig Schnee auf den Gletschern, wie Roberto Dinale vom Hydrographischen Amt in Bozen berichtet: „Am Langenferner liegt etwa ein Viertel weniger Schnee als im langjährigen Mittel. Die Schneehöhe liegt mit 2 bis 2,5 Meter aber deutlich über dem historischen Minimum aus dem Jahr 2006/2007. Am Alpenhauptkamm und im Ahrntal liegen die Rücklagen im Bereich des langjährigen Mittels“.

Dank

Die Autoren bedanken sich, wie in den früheren Tagebüchern zitiert, bei allen, die zu diesem ersten Beitrag des Gletschertagebuchs 2017 beigetragen haben. Im Besonderen beim Hydrographischen Landesdienst Salzburg, DI Hans Wiesenegger und dem Hydrographischen Landesdienst Tirol für Aufträge und Finanzierung.

An den höhergelegenen Gletscher der Schweiz laufen die Messungen noch. „Wir haben den Eindruck, dass sich die Lage dank der jüngsten Schneefälle deutlich gebessert hat. Außer im Engadin (Bernina-Gebiet), wo wir deutliche Defizite verzeichnen, scheinen die Mengen doch weitgehend durchschnittlich, gegen Westen (Berner Oberländer Alpen) hin sogar leicht überdurchschnittlich“, berichtet Andreas Bauder von der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der ETH Zürich.

Die Aussichten 2017

Am 24. März 2017 wurde in den Alpen Wüstenstaub abgelagert, er war an windverblasenen Stellen gut sichtbar. Dieser Schmutzhorizont wird sich, sobald der darüber liegende Schnee geschmolzen ist, verstärkend auf die Abschmelzung auswirken und das Ausapern der Gletscher beschleunigen.

„Nachher ist man klüger“ gilt bei jedem Versuch vorherzusagen, wie die zukünftigen Gletscherbilanzen am Sommerende sein könnten. Wird es ein warmer Sommer und daher negative Bilanzen oder ein kühler mit Massenzunahmen der Gletscher?

Langzeitprognosen des Wetters sind noch immer mit großen Unsicherheiten behaftet. Es wäre aber doch eher überraschend, sollten die Gletscher bei der vor sich gehenden „Klimaerwärmung“ nicht wieder mehr oder weniger am Eismasse verlieren.

Beim Stubacher Sonnblickkees ist der Massenverlust seit 1982 nahezu ununterbrochen weitergegangen – faktisch auch bei allen anderen Alpengletschern. Vielleicht bringen -. „hoffentlich“ - verspätete „Eismänner“ reichlich Neuschnee im Gebirge, er hätte einen doppelten Effekt: Es kommt einerseits Schnee(-Masse) dazu, andererseits wird der Beginn der Schneeschmelze hinausgeschoben.

Erst im Juli, im 2. Gletschertagebuch, wissen die Glaziologen/Glaziologinnen mehr über die mögliche Bandbreite der Massenbilanzen am Ende des Sommers.

Mehr zum Gletschertagebuch: