50 Jahre Bankomat

Vor 50 Jahren ist eine Maschine erfunden worden, die den Österreichern ans Herz gewachsen ist: der Bankomat. Er spuckt das Zahlungsmittel aus, dem die Menschen hier am meisten vertrauen - auch wenn immer mehr Ökonomen ein Ende des Bargelds fordern.

Dass es heute so einfach ist, an Bargeld zu kommen, geht auf eine Erfindung aus dem Jahr 1967 zurück. Vor 50 Jahren stellte die Barclays Bank in einer Filiale nördlich von London den ersten Geldautomaten auf. Zu dieser Zeit war in Österreich an die Einführung von Bankomaten noch nicht zu denken. Denn damals hatte überhaupt nur ein Viertel der Erwachsenen ein Girokonto.

Nur fünf Transaktionen pro Monat

Ende der 1960er Jahre war es auch nicht notwendig, ein Bankkonto zu haben. Fast alle Gehälter wurden in bar ausbezahlt und selbst regelmäßige Zahlungen wie Mieten, Gas- und Stromrechnungen mit Scheinen und Münzen beglichen. Doch der Anteil der Kontoinhaber an der Bevölkerung sei schnell gestiegen, sagt der Ökonom Helmut Stix von der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). „1970 lag der Anteil bereits bei einem Drittel der Bevölkerung“, so Stix. Von da an nahmen auch die bargeldlosen Zahlungen langsam zu.

Immer mehr Arbeitgeber begannen, die Gehälter zu überweisen. Mieten wurden öfter mit Erlagschein bezahlt, wobei immer noch viele mit Bargeld in der Hand zur Bank gingen und so den Erlagschein beglichen. Es gab immer mehr Girokonten, doch was die Kontobewegungen betrifft, blieb es verhältnismäßig ruhig, wie Zahlen aus Deutschland zeigen. „Die durchschnittliche Nutzung pro Monat war bei fünf Transaktionen“, so Stix. Der Volkswirt geht von drei bis vier Behebungen pro Monat und einer Überweisung auf ein Sparkonto aus. „Man hat das Girokonto eigentlich dazu benutzt, abzuheben, Bargeld zu beziehen, sonst ist nicht viel passiert.“

Bargeldloses Zahlen wird wichtiger

In den 1970er und 1980er Jahren wurde das bargeldlose Zahlen in Österreich beliebter. Der Verrechnungsscheck war für viele eine willkommene Alternative zu großen Scheinen, gleiches galt für Kreditkarten. Sie machten spontane Einkäufe möglich. Eine große Erleichterung in dieser Hinsicht brachte auch die Einführung von Bankomaten. Die ersten wurden 1980 in Wien aufgestellt. Ende des Jahres gab es dann 35 Stück österreichweit.

„Die Verfügbarkeit von Bankomaten hat natürlich den Zugang zu Bargeld stark verändert, weil man sich nicht mehr an Öffnungszeiten halten musste“, so Stix. Das hatte messbare Folgen: Die Nachfrage nach Bargeld sinkt seit den 1950er Jahren stetig. Im Vergleich zur Wirtschaftsleistung Österreichs sind immer weniger Scheine und Münzen im Umlauf. Und Untersuchungen der OeNB der vergangenen 20 Jahre zeigen, dass Bargeld als Zahlungsmittel an Bedeutung verloren hat, wenn auch nur relativ.

Mehr als 80 Prozent aller Zahlung in bar

Heute gibt es in Österreich mehr Girokonten als Einwohner. Der Großteil der Geschäfte und Restaurants akzeptiert Bankomat- bzw. Kreditkarten. Dennoch wird Bargeld in Österreich sehr viel genutzt. „Eine Studie von uns aus dem Jahr 2016 zeigt, dass noch immer 82 Prozent der Zahlungen in bar abgewickelt werden“, so Stix.

Den Ökonomen der OeNB ging es bei der Studie vor allem darum, die alltäglichen, unvorhersehbaren Zahlungen zu analysieren, und dabei handelt es sich um relativ kleine Summen. Regelmäßige Transaktionen wie Mietüberweisungen wurden nicht berücksichtigt. „Das heißt, wertmäßig ist der Bargeldanteil etwas geringer, er liegt bei ungefähr 65 Prozent, aber das ist trotzdem enorm“, so Stix weiter.

Geld prägt bereits in der Kindheit

Egal, ob man die Scheine in einem Safe aufbewahrt, unter der Matratze hortet oder ins Portemonnaie einschlichtet - Bargeld gibt Menschen das Gefühl, unabhängig zu sein und gleichzeitig Kontrolle über die eigene finanzielle Situation zu haben. Kinder lernen schon früh, welchen Wert Bargeld hat, etwa wenn sie zu bestimmten Anlässen Geldgeschenke bekommen. „Sie lernen, dass sie sich mit diesen Scheinen und Münzen bestimmte Wünsche erfüllen können“, erklärt der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler von der Universität Wien.

Mit Hilfe von Bargeld lernen die Kinder darüber hinaus, dass es wichtig ist, hauszuhalten und zu sparen. Sie lernen, heute auf etwas zu verzichten, um sich in Zukunft etwas Größeres und Besseres kaufen zu können. Erfahrungen, die nach Ansicht der Neurowissenschaft Spuren im Gehirn hinterlassen. Die britische Psychologin Claudia Hammond schreibt in ihrem Buch „Erst denken, dann zahlen“ etwa über eine Studie, bei der den Probanden in einen Gehirnscanner ein Geldgeschenk versprochen wurde. „Das reichte schon, um das neuronale Belohnungszentrum zu aktivieren“, erläutert Hammond. Und die Psychologin ergänzt, dass Geld die einzige Sache sei, bei der so ein zukünftiges Versprechen funktionieren würde.

Bargeld einzuteilen ist leichter

US-amerikanische Verhaltenspsychologen konnten wiederum zeigen, dass es einen Unterschied macht, ob Menschen hauptsächlich bar zahlen oder mit Karte. Hammond verweist auf eine Studie, in der die Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt wurden: eine Gruppe, die im Supermarkt ein Jahr lang ausschließlich bar gezahlt hat, und eine Gruppe, die nur mit Karte gezahlt hat. „Diejenigen, die nur mit Karte zahlen konnten, haben insgesamt mehr ausgegeben als die Barzahler, und sie haben auch ungesündere Lebensmittel gekauft“, so Hammond. „So, als ob es nicht gezählt hätte, weil es virtuell verbucht wurde.“

Barausgaben im Kopf zu behalten ist wesentlich einfacher, als Kartenzahlungen mental zu verbuchen. Wer oft mit Karte bezahlt, verliert leicht den Überblick über seine Finanzen, so weit die Studienlage. Doch dass viele Menschen am Bargeld hängen und eine Abschaffung deswegen ablehnen, hat wenig mit solchen rationalen Vorteilen zu tun, sagt der Wirtschaftspsychologe Kirchler.

Münzen und Scheine sind so beliebt, weil sie Chancen und Wahlmöglichkeiten repräsentieren. Deswegen ist die Angst vor der Abschaffung von Bargeld groß. „Die Menschen befürchten, wenn sie kein Bargeld haben oder Bargeld eingeschränkt wird, dass dann ihre Freiheit eingeschränkt wird und die Überwachung zunimmt, durch Banken, aber auch durch den Staat“, so Kirchler.

Negativzinsen in Krisenzeiten

Das Bargeld abschaffen möchte beispielsweise Kenneth Rogoff, Geldtheoretiker an der Harvard-Universität und ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Er geht davon aus, dass die zentralen Notenbanken die Wirtschaft in Zeiten der Krise effektiver ankurbeln können, wenn es kein Bargeld mehr gibt. Dann hätten sie die Möglichkeit, die Zinsen unter null zu senken. Bei einem Negativzinssatz von einem Prozent würde man bei einer Einlage von 100 Euro nach einem Jahr 99 Euro bekommen.

Das eigene Geld unter diesen Umständen auf die Bank zu tragen, ist unattraktiv. Solange es Bargeld gibt, wäre es dann lukrativer, die 100 Euro unter der sprichwörtlichen Matratze zu deponieren. Denn dann hat man nach einem Jahr immer noch 100 Euro. Rogoff geht davon aus, dass die Wirtschaft von solchen Negativzinsen profitieren würde. Wenn Sparen finanziell bestraft wird, dann zahlt es sich aus, zu konsumieren. Wird mehr Geld ausgegeben, wächst die Wirtschaft, und die Unternehmen investieren. Sie stellen mehr Beschäftigte ein, die Arbeitslosenquote sinkt, die Einkommen steigen, und es wird noch mehr konsumiert. Irgendwann, so weit die Theorie, ist die Krise überwunden, und die Notenbank kann die Zinsen wieder erhöhen.

Abschied vom Bargeld?

Für Guido Schäfer vom Institut für Analytische Volkswirtschaftslehre der Wirtschaftsuniversität Wien wären Negativzinsen nicht der überzeugendste Grund, Bargeld abzuschaffen. Bessere Argumente sieht der Ökonom bei den Kosten. Denn das Handling und die Produktion von Bargeld sind nicht günstig. „Wir haben eine Studie zu diesem Thema gemacht, die zeigt, dass eine Bargeldzahlung aus volkswirtschaftlicher Sicht im Schnitt 40 Cent ausmacht“, so Schäfer. Hinzu kommt, dass bargeldlose Zahlungen transparenter sind. Ohne Bargeld gäbe es vermutlich weniger Schwarzarbeit, und kriminelle Geschäfte abzuwickeln wäre schwieriger.

Trotzdem geht Schäfer nicht davon aus, dass das beliebte Bargeld in absehbarer Zeit abgeschafft wird. Denn die Vorteile gegenüber IT-basierten Zahlungen überwiegen nach wie vor. „Bargeld funktioniert auch, wenn die elektronische Infrastruktur nicht funktioniert, und die Anonymität ist viel größer“, so der Ökonom. Kommt es zu einer Krise, können die Menschen weiterhin mit Bargeld bezahlen, während digitale Zahlmethoden vermutlich gesperrt würden, um die Bank vor dem Bankrott zu bewahren. „Solange man hier nicht überzeugende Alternativen hat, wird es weiter Bargeld geben“, so Schäfer.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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