Lebenskunst im „Park der Monstren“

Die Wiener Kunsthistorikerin Renate Vergeiner hat eine Studie über eine bizarre Parkanlage der Spätrenaissance verfasst: „Bomarzo - ein Garten gegen Gott und die Welt“ ist ein reich bebildertes Plädoyer für die Extravaganz des freien, lustvollen Lebens.

80 Kilometer nördlich von Rom liegt der „Park der Ungeheuer“, auch bekannt als „Sacro Bosco“ - „Heiliger Wald“. Die Gartenanlage wurde im Auftrag des Fürsten Vicino Orsini (1523 - 1585) angelegt und diente vordergründig dem Andenken an Orsinis verstorbene Frau Giulia Farnese.

Buchcover: "Bomarzo: Ein Garten gegen Gott und die Welt"

Birkhäuser Verlag

Renate Vergeiner: „Bomarzo: Ein Garten gegen Gott und die Welt“, Edition Angewandte, Birkhäuser Verlag, 2017.

Doch der Wald ist mehr als das. Er ist das Lebenswerk des Fürsten; ein Reich der Todespräsenz und der Todesüberwindung; und nicht zuletzt Schauplatz einer Lebensphilosophie, die sich gegen die rigide Moral und Sinnesfeindschaft der Katholischen Kirche wendet.

Der Heilige Wald von Bomarzo war und ist eine vollkommen extravagante, oppositionelle und originelle Darstellung des Lebens als Läuterungsweg, als Wandlungsgeschehen, in dem Leidenschaft Vorrang vor Frömmigkeit eingeräumt wird und Lust über Todesfurcht triumphiert. Nach dem Willen seines Schöpfers Vicino Orsini vereinigt er die Weisheit der ganzen Welt und kann also wirklich mit „nur sich selbst und nichts anderem“ verglichen werden. (Renate Vergeiner)

Expedition in den Zaubergarten

Wenn der Besucher den phantastischen Garten betritt, taucht er ein in eine Welt der Sinnestäuschungen und des Staunens. Er trifft auf Sphingen, Meeresungeheuer, Nymphen, Drachen, versteinerte Löwen, miteinander ringende Giganten, eine überdimensionierte Schildkröte, ein riesiges Fischmaul und einen Elefanten, der einen römischen Legionär mit seinem Rüssel zu Fall bringt.

Buchpräsentation

Die Vorstellung des Buches erfolgt am 30. Mai im Heiligenkreuzerhof der Universität für angewandte Kunst. Auf eine Einführung der Autorin zum Phänomen Bomarzo folgt ein Vortrag auf dem griechischen Aulos, “der Klang Bomarzos”, antike Musik, gespielt und vorgestellt von Stefan Hagel. Beginn: 18.00 Uhr

Sowie ein aufgerissenes Höllenmaul, durch das man in einen Speisesaal gelangt, in dem orgiastische Festgelage stattfanden. Die gesamte Anordnung des Gartens erzeugt die Illusion einer aus den Fugen geratenen Gegenwelt, in der die Welt des Normalen, des Faktischen aufgehoben ist.

Die Kunsthistorikerin Renate Vergeiner unternimmt in ihrer Studie eine Expedition in dieses rätselhafte Reich des Fürsten Orsini. Sie rekonstruiert die philosophischen, mythologischen und kulturhistorischen Quellen, die bei der Konzeption der Gartenanlage durch Vicino Orsini eine wichtige Rolle gespielt haben. Der Fürst war äußerst gebildet, ein Kenner der antiken und zeitgenössischen Philosophie und Literatur, der Mythologie und der Alchemie.

Philosophie der Lebensfreude

Wesentlich für Vicino Orsinis intellektuelle und lebenspraktische Orientierung war die Philosophie von Epikur (341 - 271 v. Chr.). In einem Brief bekannte der Fürst, ein Anhänger der epikuräischen Philosophie zu sein: „So habe ich beschlossen, dass Epikur ein Mann von Welt war“.

Seine Philosophie war für Orsini ein Synonym für eine wohlüberlegte Lebensfreude - ein großes Ja-sagen zur Sinnlichkeit, zu den Trieben und zur Sexualität. Im Gegensatz zur Sinnesfeindschaft der Katholischen Kirche, die - zumindest in der Theorie - die „Abtötung des Fleisches“ propagierte, bekannte sich Orsini zu einer tabulosen Sinnlichkeit. Für ihn sind Bauch und Geschlecht die bestimmenden Größen im Leben der Menschen.

Skulptur im „Heiligen Wald“ von Bomarzo: "Höllenmaul"

Birkhäuser Verlag

Im Orcusrachen wurde getafelt

Diese sensualistische These hinterließ auch Spuren im „Park der Monstren“, wie die Gartenanlage auch genannt wurde. Da finden sich Gestalten, die sich offen einem leidenschaftlichen Sexualakt hingeben; auch die Briefe des Fürsten sind mit zahlreichen obszönen Anspielungen versehen.

Neben dem Bekenntnis Epikurs zu einer „Philosophie der Lebensfreude“ war auch der konkrete Ort, wo diese Lebensfreude artikuliert wurde, für Vicino Orsini von zentraler Bedeutung. Auch Epikur verfügte über einen wohl proportionierten Garten in Athen, in dem er mit ausgewählten Freunden über philosophische Probleme diskutieren konnte. Dieser Hortus conclusus - abseits des geschäftigen Alltagslebens und der politischen Intrigen - war der ideale Ort für ein freies und unabhängiges Denken, dem auch der Fürst Orsini huldigte.

Skulptur im „Heiligen Wald“ von Bomarzo: "Kampf der Giganten"

Birkhäuser Verlag

Skulptur: Kampf der Giganten

In der Dunkelzone des Unbewussten

Der Welt des zeitgenössischen politischen und religiösen Dogmatismus stellte Vicino Orsini seinen visionären Park entgegen. Hier fanden nicht nur Symposien der gelehrten Freunde des Fürsten statt, hier bestand auch die Möglichkeit, sich verzaubern zu lassen und der realen Welt temporär zu entfliehen.

Vicino Orisinis Intention bestand darin, dem Besucher eine Inszenierung des Grotesken, des Obszönen, des Phantastischen anzubieten, bei der ihm die herkömmlichen Maßstäbe des Normalen abhanden kommen sollten.

In einer Landschaft des Phantastischen sollte das Realitätsprinzip außer Kraft gesetzt werden; an die Stelle einer stringenten Rationalität sollte die Dunkelzone des Unbewussten treten, eine Traum- und Rauschlandschaft, in der Sein und Schein nicht mehr zu unterscheiden wären.

Der Zustand des „Heiligen Waldes“ ist heute dem von Vicino Orsini angestrebten Konzept einer zwischen Kunst und Natur, Augentäuschung und Kunst angelegten Sphäre der Ununterscheidbarkeit, des Überganges in eine andere Seinsweise und der geistigen Verwirrung so nahegekommen, dass sein Plan eines epikureischen, auf Ewigkeit hin konzipierten Paradieses als verwirklicht betrachtet werden kann. (Renate Vergeiner)

Das Schiefe Haus

Ein besonders gelungenes Beispiel für die intendierte Ver-rückung der Sinne ist das Schiefe Haus, in dem alle gewohnten Proportionen verschoben sind. Wer die schiefen Räume betritt, fühlt sich desorientiert. Der Gleichgewichtssinn funktioniert nicht mehr; man taumelt vorerst umher. Blickt man aus dem Fenster, beginnen Bäume und Büsche zu wanken, auch der Horizont befindet sich nicht mehr auf dem gewohnten Platz.

"Schiefes Haus" im „Heiligen Wald“ von Bomarzo

Birkhäuser Verlag

Außen- und Innenperspektive: das Schiefe Haus

Für Renate Vergeiner hat die Errichtung des „Schiefen Hauses“ die Funktion, den aus der realen Welt kommenden Besucher zu verunsichern und sein Verständnis von Realität radikal in Frage zu stellen. Das ver-rückte Haus mit seinen ungewöhnlichen Proportionen stellt ein Initiationserlebnis dar, gleichsam eine Einführung in die phantastische Welt des Gartens, die mit der Ver-rückung des Besucher-Bewusstseins korrespondiert. Das „Schiefe Haus“ kann als Mikrokosmos angesehen werden, in dem das Phantastische des „Heiligen Waldes“ bereits präfiguriert ist.

Nach der Lektüre von Renate Vergeiners opulenter Studie über den „Monstrenpark von Bomarzo“ verspürt man den Wunsch, unmittelbar nach Bomarzo aufzubrechen, sich in Begleitung ihres Cicerone von den grotesken Gestalten bezaubern zu lassen und in die Traumlandschaften des italienischen Fürsten einzutauchen.

Nikolaus Halmer, Ö1-Wissenschaft

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