Armut prägt schon im Mutterleib

Kinder aus armen Familien haben im Leben schlechte Karten, nicht nur sozial. Schon in der Schwangerschaft reagiert das Immunsystem der Mutter auf die widrigen Umstände, berichten Forscher. Das habe körperliche Folgen für das Baby.

Menschen, die in Armut und instabilen Familienverhältnissen aufgewachsen sind, haben eine geringere Lebenserwartung, werden öfter krank und leiden häufiger unter psychischen Problemen, wie Depressionen und Aggressionen. Auch geistige Fähigkeiten können betroffen sein, z.B. kann das Gedächtnis manchmal schlechter funktionieren.

Studien legen nahe, dass der negative Einfluss schon vor der Geburt beginnt: Kinder von Müttern, die während ihrer Schwangerschaft vermehrt mit alltäglichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, entwickeln sich in den ersten Lebensjahren mitunter langsamer. Wie genau sich die Lebensumstände der Mutter auf das spätere Leben der Ungeborenen auswirken - d.h., was dabei auf körperlicher Ebene passiert - war bis jetzt allerdings weitgehend unklar.

Reaktionen des Immunsystems

Die Forscher um Stephen E. Gilman vom Eunice Kennedy Shriver National Institute of Child Health an Human Development vermuten, dass es unter anderem Reaktionen des mütterliche Immunsystems sein könnten, die die geistige Entwicklung eines Ungeborenen bremsen. Denn ein ausbalanciertes Immunsystem sei in der Schwangerschaft besonders wichtig: Es darf nicht zu aktiv sein, damit sich der neue Mensch einnisten kann, aber aktiv genug, damit Mutter und Kind ausreichend geschützt sind.

Überprüft hat das Team seine Annahme mit Daten aus der New England Family Study. Für diese wurden fast 1.500 ungefähr 25-jährige Frauen in der Schwangerschaft regelmäßig untersucht. Außerdem wurden demografische Faktoren wie z.B. Schulbildung, Haushalteinkommen und Familienstrukturen erfasst. Im Alter von vier Monaten und von einem Jahr wurde später unter anderem die neurologische Entwicklung der Kinder getestet, z.B. motorische Fertigkeiten und Reflexe.

Wirkung auf Botenstoffe

Die Forscher interessierten sich insbesondere für fünf körpereigene entzündungshemmende sowie -fördernde Botenstoffe des Immunsystems (Zytokine), von denen man weiß, dass auch manche Gehirnregionen darauf ansprechen. Sie verglichen die Serumproben aus dem letzten Schwangerschaftsdrittel, denn diese Zeit sei entscheidend für die neurologische Entwicklung.

Bei einem Botenstoff wurden Gilman und seine Kollegen tatsächlich fündig: Frauen aus sozial schwächeren Verhältnissen hatten häufiger einen niedrigen Interleukin-8-Spiegel (IL-8), zudem war ein verändertes Verhältnis zwischen IL-8 und IL-10 messbar. Einflüsse durch Infektionen oder andere Erkrankungen haben die Forscher herausgerechnet.

Mütterlicher Stress

Bei den neurologischen Tests ließen sich bei den Kindern der sozioökonomisch am meisten benachteiligten Frauen auch am häufigsten Entwicklungsdefizite nachweisen. Laut den Forschern könnte das - zumindest zum Teil - eine Folge des niedrigen IL-8-Spiegels sein. Der Botenstoff spiele in der Schwangerschaft vermutlich mehrere wichtige Rollen: Er sorge dafür, dass die Placenta normal arbeitet, und steuere die Entwicklung des fötalen Gehirns.

Dauerhafter Stress - wie er durch die widrigen sozialen Umstände entsteht - dürfte den IL-8-Spiegel der Schwangeren senken. Wie langfristig die Folgeerscheinungen sein können, lasse sich auf Basis der vorhandenen Daten nicht sagen. Die neurologischen Defizite waren im Alter von vier Monaten jedenfalls noch stärker ausgeprägt als nach dem ersten Lebensjahr.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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