Rattengehirn mathematisch beschrieben
Die Forscher um Kathryn Hess von der ETH Lausanne (EPFL) griffen auf eine aufwendige Simulation eines Ausschnitts des Rattenhirns zurück. Diese umfasst 31.000 Nervenzellen mit insgesamt acht Millionen Verbindungen - alles auf Basis physiologischer Daten. Auf dieser Grundlage und mit virtuellen Experimenten gelang es den Wissenschaftlern, die große Vielfalt an geometrischen Anordnungen zusammenarbeitender Neuronen mathematisch zu beschreiben.
Die Studie
„Cliques of Neurons Bound into Cavities Provide a Missing Link between Structure and Function“, Frontiers in Computational Neuroscience, 12.6.2017
Ihr Fokus lag dabei auf Gruppen paarweise verbundener Nervenzellen, die Informationen austauschen. Die Forscher stellten fest, dass diese sogenannten Cliquen meistens aus drei oder vier Nervenzellen bestehen, was mit experimentellen Beobachtungen am Rattengehirn übereinstimmt. Sie stellten jedoch auch fest, dass größere Cliquen von bis zu acht Neuronen möglich sind.
Geometrische Formen
Die Anzahl Mitglieder einer Clique bestimmt den Forschern zufolge die geometrische Form, wobei man die Nervenzellen als Punkte, ihre Verbindungen als Linien mit einer Richtung zur Informationsweiterleitung betrachtet werden können. Zwei paarweise verbundene Neuronen liegen auf einer Linie, drei ein flaches Dreieck, vier eine Pyramide mit dreieckiger Basis, fünf und mehr Nervenzellen bilden Polyeder.
Durch Beobachtung eines Rattengehirns allein wäre diese Zerlegung in geometrische Formen schwierig gewesen. Denn die Mitglieder einer Clique können zu verschiedenen Schichten des Rattengehirns gehören und jedes Neuron Teil mehrerer Cliquen sein.
Forscher-Video zur Simulation
Dank dieser mathematischen Zerlegung kamen die Forschenden denn auch auf die bisher unbekannten Aktivitätsmuster: Durch Experimente am simulierten Rattengehirn konnten sie die Verarbeitung eines äußeren Reizes beobachten, dem Berühren eines virtuellen Schnurrhaars. Die daraufhin aktivierten Nervenzell-Cliquen kamen daraufhin in übergeordneten Mustern zusammen, die sich im Zeitverlauf änderten.
Laufend neu vernetzt
Mit schrittweiser Verarbeitung des Reizes wurden diese übergeordneten Aktivitätsmuster zunehmend komplexer und lösten sich schließlich abrupt auf. Das Gehirn vernetze sich quasi laufend neu, während ein Reiz verarbeitet wird, bis eine Entscheidung getroffen ist.
„Unsere früheren mathematischen Herangehensweisen hatten Mühe, der Aktivität von Neuronen einen Sinn zuzuschreiben“, sagte „Blue Brain“-Projektleiter Henry Markram in einer Aussendung. Dank der Zerlegung in höherdimensionale Geometrien mache diese Aktivität plötzlich Sinn. Die Studie habe eine völlig neue Tür aufgestoßen, um das Gehirn zu verstehen.
science.ORF.at/APA/sda