„Religion ist Transzendenzverwaltung“

Was ist Religion? An dieser großen Frage haben sich Experten bei einer Diskussionsveranstaltung am Montagabend abgearbeitet. Die Antworten waren mitunter provokant.

„Religion ist institutionalisierte Transzendenzverwaltung“, sagte etwa der Philosoph Konrad Paul Liessmann im Rahmen des vom Wissenschaftsministerium veranstalteten „Science Talk“ in Wien. Liessmann ortete auch „ungerechtfertigte Wahrheitsansprüche und bedenkliche soziale Implikationen“ - und legte damit den Grundstein für eine (fege)feurige Debatte.

Zuvor hatte die Theologin Regina Polak einen „uferlosen“ Religionsbegriff diagnostiziert. Religion sei mehr als „Kommunikationsfeld“ zu verstehen, in das Bewegung geraten ist: „Das Monopol, das die christlichen Kirchen in Europa innehatten, gibt es so nicht mehr“, so die Expertin vom Institut für Praktische Theologie der Universität Wien.

Fundamentalismusverdacht

„Früher mussten sich Menschen rechtfertigen, warum sie etwas anderes oder nicht glauben“, so Polak. Heute sei es vor allem in der westlichen Gesellschaft oft so, dass sich gläubige Menschen legitimieren müssten und rasch in den Verdacht gerieten, fundamentalistisch zu sein. Aufgabe der Theologie sei daher darüber nachzudenken, „was die innere Rationalität von Religion ist“.

Mit einseitigen Sichtweisen auf den Islam, vor allem mit dessen automatischer Gleichsetzung mit Religion, wollte der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker aufräumen. Islam sei die - immer wieder widersprüchliche - Auseinandersetzung von Menschen mit Texten (des Koran) unter bestimmten Prämissen, ein offener Begriff der sich über die Jahrhunderte immer weiter entwickelt hat.

Religion als separate Instanz gebe es in diesem Zusammenhang erst seit dem 18. Jahrhundert. Besser als der Religionsbegriff könne eventuell das arabische Wort „Din“ diese „umfassende Lebensweise“ beschreiben.

„Wer nur eine kennt, kennt keine“

Mit einem Wort von Friedrich Max Müller näherte sich Birgit Heller an das „diffuse Feld“ der Religion an: „Wer nur eine kennt, kennt keine.“ Der Vielfalt könne man nur schwer mit einer engen Definition gerecht werden, so die Religionswissenschaftlerin von der Uni Wien - „Din“ sei vielleicht einer dieser Begriffe.

Aus wissenschaftlicher Sicht gebe es einerseits die Wesensdefinitionen, die der Frage nachgingen, was Religion sei - mit vielen möglichen Antworten: „Religion ist die Begegnung mit dem Heiligen, das Erleben göttlicher Macht oder der Glaube an spirituelle Wesen.“

Die zweite, vor allem in der jüngeren Religionswissenschaft vertretene Gruppe, versuche eher zu beantworten, wozu Religion dient. Religionen seien in der funktionalen Lesart „Sinngebungssysteme grundlegender Art, die eine umfassende Orientierung geben wollen“. Die „Extremposition“ besage wiederum, Religion sei eine Erfindung der Aufklärung.

„Die einzig harte Droge“

Wenn Religion nur eine Art Sinngebungssystem sei, das über Verkehrsregeln hinausgeht, dann sei sie nur ein Sinnsystem unter vielen anderen, sagte Konrad Paul Liessmann: „Religion ist derzeit im philosophisch-klassischen Sinne die einzige nicht nur legale, sondern harte Droge.“

Die Marx’sche Zuschreibung von Religion als „Opium für das Volk“ sei vor allem vor dem Hintergrund damaliger sozialer Missstände zu verstehen, als Proteste gegen Elend und Schmerzen. Dieses Opiat werde nach der Befreiung aus diesen Missständen nicht mehr gebraucht. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei nach Jahrzehnten der Unterdrückung die Religion unter anderem deshalb so heftig wiedergekehrt, weil die orthodoxe Kirche das Machtpotenzial dieser „institutionalisierten Transzendenzverwaltung“ erkannt habe.

„Mit Schmerzen der Existenz umgehen“

Pastoraltheologin Polak konnte dem angesichts der „zwei Drittel der Europäer, die über all die Jahrzehnte immer noch konstant an Gott glauben“, wenig abgewinnen: „Sind die dann alle drogensüchtig?“ Auch müsse sich Liessmann fragen, ob seine Bücher noch so lange gelesen werden wie die Bibel.

Einen versöhnlicheren Ton schlug Birgit Heller an, die zwischen Atheismus und Religiosität wesentlich mehr Spielarten ortete als oft dargestellt. Viele Menschen würden sich entweder als religiös oder spirituell bezeichnen, ohne sich speziell zuordnen zu wollen. Letztlich biete Religion Möglichkeiten, „mit den Schmerzen der Existenz umzugehen, die wir nie beseitigen können“.

Für Liessmann dagegen sind Religion und die damit verbundenen Hoffnungen auf einen Gott, eine Erlösung für Menschen, die „Endlichkeit nicht akzeptieren können“.

science.ORF.at/APA

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